Analyse: Putin macht in Sotschi Weltpolitik

Sotschi/Kiew (dpa) - In der schwersten Krise seines Landes reist der ukrainische Staatschef Janukowitsch ans Schwarze Meer. Sein Ziel: Die Olympia-Show mit Kremlchef Putin. Welchen Ausweg aus dem Machtkonflikt beraten die beiden in Sotschi?

Foto: dpa

Sotschi/Kiew (dpa) - In der schwersten Krise seines Landes reist der ukrainische Staatschef Janukowitsch ans Schwarze Meer. Sein Ziel: Die Olympia-Show mit Kremlchef Putin. Welchen Ausweg aus dem Machtkonflikt beraten die beiden in Sotschi?

Die russischen Staatsmedien und Moskaus Machtpolitiker schauen seit Monaten den teils gewaltsamen ukrainischen Protesten am Maidan kopfschüttelnd zu. Der Tenor: So etwas würde sich kein anderer Staat von Regierungsgegnern gefallen lassen.

Solche Aussagen wie etwa von Außenminister Sergej Lawrow kommen zwar immer verbunden mit dem Appell, sich nicht in die inneren Belange eines Landes einzumischen. Aber den seit mehr als zwei Monaten in der Kälte am Maidan auf einen Machtwechsel hoffenden Demonstranten machen solche Töne aus Moskau bisweilen ziemlich Angst.

Es gehört zu den schlimmsten Verschwörungsszenarien in der Ukraine, dass Präsident Viktor Janukowitsch an diesem Freitag nicht nur zum Feiern nach Russland reist. Holt er sich russischen Beistand für einen blutigen Schlag gegen die Protestbewegung in Kiew? Als einer der führenden Oppositionsköpfe warnt der frühere Profiboxer Vitali Klitschko fast täglich vor einem gewaltsamen Ende des „Euromaidan“ - und einem möglichen Ausnahmezustand.

Offiziell heißt es freilich, dass Janukowitsch beim Feuerwerk dabei sein will, wenn Kremlchef Wladimir Putin im Fischt-Stadion die XXII. Olympischen Winterspiele eröffnet. Doch auch als „Herr der Ringe“ will Putin die Weltpolitik nicht ruhen lassen. Er hat betont, sich bei den Gesprächen und Treffen mit den vielen Staats- und Regierungschefs auch um Konflikte wie in der Ukraine, in Syrien und in Afghanistan kümmern zu wollen.

Putins Berater Sergej Glasjew sagte der Zeitung „Kommersant“ in Kiew, dass eine Regierung das Recht auf Gewalt habe, um einen Staatsstreich abzuwenden. „Unseren Informationen zufolge geben US-amerikanische Quellen zur Finanzierung jede Woche 20 Millionen Dollar aus, darunter für die Bewaffnung der Opposition und Aufständischen“, behauptete der Kremlfunktionär. Auf dem Gelände der US-Botschaft würden Kämpfer ausgebildet.

Janukowitsch lässt mit der Sotschi-Sause den Machtkonflikt in Kiew, der auch ein Kampf zwischen dem Westen und Russland um die strategisch wichtige Ukraine ist, nun vorübergehend hinter sich. 44 Athleten sind für die Ex-Sowjetrepublik am Start - sie versuchen, sich ungeachtet der Revolution im eigenen Land auf die Wettbewerbe zu konzentrieren.

Russland schaut derweil nicht nur wegen der zuletzt gewährten Milliardenhilfe für den chronisch klammen „Bruderstaat“ auf die Ereignisse. Die kremlkritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ merkte an, dass die Machtführung in Moskau den Revolutionsvirus fast reflexartig als Bedrohung für sich werte. Das sei schon bei der damals friedlichen Orangenen Revolution von 2004 in Kiew so gewesen.

Die auch in Deutschland verlegte ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko sieht angesichts früherer Einsätze russischer Geheimdienstleute die Gefahr, dass Moskau Scharfschützen schickt. „Putin will sich rächen an der Ukraine für seine Niederlage bei der Orangenen Revolution vor zehn Jahren. Seine Geheimarmee ist schon hier“, schreibt sie in einem offenen Brief, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.

Auch in den sozialen Internet-Netzwerken der Ukraine mehreren sich Hinweise, dass Russen kämen und sich in den Uniformen der ukrainischen Sondereinheiten Berkut (Steinadler) auf Gewalt gegen Demonstranten vorbereiten würden. Die Uniformierten würden etwa Russisch ohne ukrainischen Akzent sprechen und russisches in ukrainisches Geld umtauschen. Auch der nach Misshandlungen ausgereiste Oppositionelle Dmitri Bulatow sagt nach seiner Ausreise in Litauen jetzt, dass er seine Peiniger für Putins Gesandte hielt.

Moskau tut solche Vorwürfe, wenn sie hier überhaupt geäußert werden, als Russophobie ab. Der Hass auf alles Russische werde von ukrainischen Ultranationalisten kultiviert, kritisiert Putins Sprecher Dmitri Peskow. „Das sorgt für ernste Besorgnis“, betont er vor dem Treffen Putins mit Janukowitsch.

Zwischen beiden Staatschefs sei am Rande von Olympia ein Gespräch geplant. Russland wolle sich anhören, was Janukowitsch sage. „Zum Thema, die eine oder andere Hilfestellung zu geben oder die eine oder andere Dienstleistung zur Verfügung zu stellen. Aber noch einmal: Nur, wenn sich die Ukrainer an uns wenden“, betonte Peskow in einem Radiointerview. Welche Dienstleistungen und Hilfen er meint, sagt Peskow nicht.