Analyse: Die Bürger und die „Monstertrassen“
Berlin (dpa) - Sie soll die Hauptschlagader der Energiewende werden: Der 800 Kilometer lange SuedLink. Am Mittwoch wurde der Vorschlag für den Verlauf vorgestellt. Kaum werden die Planungen konkreter, formiert sich schon der Bürgerprotest.
Bayern will eine Pause beim Netzausbau.
Lex Hartman ist es gewohnt, der Sündenbock zu sein. Der mit einem feinen Humor ausgestattete Niederländer ist zuständig für das Deutschlandgeschäft des Netzbetreibers Tennet, das lange Zeit den Anschluss von Windparks in der Nordsee nicht hinbekam. So müssen pro Monat tausende Liter Diesel in Stromaggregaten verfeuert werden, um die fertigen 30 Windräder des Parks Riffgat bei Borkum zu bewegen und vor Rost zu schützen - immerhin soll die Leitung in Kürze stehen.
Der Offshore-Ärger könnte für Hartman erst der Anfang sein. Denn am Mittwoch hat er einen Vorschlag für die längste Trasse Deutschlands vorgelegt, mit der Windstrom vom Norden in den Süden gebracht werden soll. „Jemand muss anfangen zu sagen, da kann es lang gehen“, sagt Hartman. „Das ist eine elektrische Autobahn ohne Abfahrten.“
Die Alternative wären hochsubventionierte neue Gaskraftwerke im Süden - und mit vielen Milliarden Euro geförderter Windstrom im Norden, der keine Abnehmer hätte. „Ja, das geht alles“, meint Hartman mit einer Portion Sarkasmus. Dann werde das Ganze halt nur sehr teuer. „Wenn wir die Energiewende haben wollen, brauchen wir diese Netze.“
Der Hauptabschnitt der von Tennet und dem anderen verantwortlichen Netzbetreiber TransnetBW so bezeichneten „Hauptschlagader der Energiewende“ könnte seinem Vorschlag zufolge von Norden nach Süden durch fünf Bundesländer führen.
Start ist Wilster, an Verden/Aller vorbei geht es zwischen Hannover und Lehrte durch und an Hildesheim vorbei. Danach von Niedersachsen Richtung Höxter und Warburg in Nordrhein-Westfalen und am hessischen Kassel vorbei. Weiter an Bad Hersfeld vorbei Richtung Süden, um an Fulda vorbei ins bayerische Grafenrheinfeld zu führen. Der zweite Abschnitt soll von Brunsbüttel entlang der Haupttrasse weiter nach Großgartach in Baden-Württemberg führen, insgesamt soll der SuedLink 800 Kilometer lang werden.
Grafenrheinfeld als Ziel bietet sich an, da am dortigen Atommeiler die Netzinfrastruktur vorhanden ist, um Strom weiterzuverteilen. Die Anlage soll 2015 als nächstes Atomkraftwerk stillgelegt werden - aber dafür muss die schon im Bau befindliche Thüringer Strombrücke fertig werden, um mit Windstrom aus dem Osten das AKW-Aus aufzufangen.
Der SuedLink wird als Gleichstromleitung errichtet, um weniger Übertragungsverluste zu haben, bis zu 4000 Megawatt sollen ab 2022 übertragen werden. Es soll, salopp gesprochen, Deutschlands stärkste Stromautobahn werden. Wenn das nächste Haus nur 200 bis 300 Meter entfernt ist, kann die Leitung auf einzelnen Abschnitten als Erdkabel verlegt werden. Die Gesamtbauzeit soll etwa vier Jahre betragen.
Drei große Trassen in den Süden sind geplant, neben dem SuedLink eine 450 Kilometer lange Leitung von Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen (Bayern) und eine rund 500 Kilometer lange Trasse von Emden über Osterath in Nordrhein-Westfalen, durch Rheinland-Pfalz bis nach Philippsburg in Baden-Württemberg. Hierzu gibt es aber anders als bei den ersten beiden Projekten noch keine Trassenverlaufsvorschläge.
Doch nun hat sich ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an die Spitze der Gegenbewegung gestellt. Dabei geht es um das vom Netzbetreiber Amprion geplante Trasse nach Meitingen. Sie ist Teil des 2013 auch von der CSU beschlossenen, 36 Netzprojekte umfassenden Bundesbedarfsplangesetzes. Seehofer pocht plötzlich auf ein Moratorium - im März sind in Bayern übrigens Kommunalwahlen.
Seehofer sieht durch die von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geplante Drosselung gerade des Windausbaus die Planungen als überholt an. Aus Sicht der Bayern muss geschaut werden, ob die Netze nicht überdimensioniert sind. Denn statt 30 000 Megawatt (MW) bei Windparks im Meer sollen es nur noch 15 000 bis 2030 werden.
Hartman hält das für vorgeschoben, denn es bleibt beim Ziel von 80 Prozent Ökostrom bis 2050. „Netze bauen wir nicht für zehn Jahre, sondern für 50 Jahre.“ Auch aus anderen Ländern kommt Protest, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) betont: „Wir müssen den Menschen doch ehrlich und mit Arsch in der Hose sagen, dass der Ausstieg aus der Atomenergie auch Folgen hat.“
In Bayern haben sich Protestbündnisse mit Namen wie „Bürger gegen Strommonstertrasse“ gebildet. Es gehe nicht nur um den Schutz für den Menschen, sondern auch für die betroffene Tierwelt, Pflanzen und Naturparks. Zudem gebe es kaum Untersuchungen zu Gesundheitsrisiken der Gleichstrom-Technik. „Wenn überhaupt Leitungen erforderlich, dann unter die Erde damit“, fordert die Anti-Trassen-Initiative.
Es droht sich hier das Grunddilemma der Energiewende fortzusetzen. Laut Umfragen steht eine deutliche Mehrheit hinter dem Projekt, aber sobald persönliche Interessen betroffen sind, geht die Protestpost ab. Die Ziele - deutlich weniger CO2-Ausstoß und ein Ende der Atomkraft - werden kaum noch diskutiert. Hartman ahnt, was da nun auf ihn zukommt. Er fordert, die Energiewende durch Blockaden nicht noch teurer zu machen. „Das sind am Ende die Euros von unseren Bürgern.“