„Hauptschlagader der Energiewende“ durch Deutschlands Mitte
Berlin (dpa) - Der Bürgerprotest ist programmiert: Für das längste Stromnetzprojekt Deutschlands liegen nun die Trassenpläne auf dem Tisch. In Bayern zeigt der Widerstand schon politische Folgen: Ministerpräsident Seehofer droht mit einem Ausbaustopp - und erntet viel Kritik.
Die geplante Stromtrasse soll als „Hauptschlagader der Energiewende“ durch mindestens fünf Bundesländer führen. Die Netzbetreiber Tennet und TransnetBW schlagen vor, dass die Hauptstrecke des insgesamt 800 Kilometer langen „SuedLink“-Projekts ab 2022 Windstrom von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen nach Bayern bringen könnte.
Die Trasse soll die Stilllegung von Atomkraftwerken im Süden kompensieren. Wegen Protesten pocht aber der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) darauf, die Planungen für die großen Stromnetz-Ausbauprojekte erst einmal auf Eis zu legen.
Der Trassenvorschlag soll nun mit Bürgern diskutiert werden. Tennet ist für den Hauptteil der Trasse verantwortlich, die Kosten liegen im „unteren einstelligen Milliardenbereich“. „Wir sind startbereit“, sagte Tennet-Geschäftsführer Lex Hartman. Die Masten sollen 60 bis 70 Meter hoch sein, man habe schon geschaut, „wie sieht die Natur aus, wo wohnen die Menschen“.
TransnetBW-Geschäftsführer Rainer Joswig sagte: „Wir sprechen hier von der Hauptschlagader und dem Rückgrat der Energiewende.“ 2016 soll das Baugenehmigungsverfahren starten, 2022 soll die Leitung stehen. „Das ist eine elektrische Autobahn ohne Abfahrten“, sagte Hartman. Sie wird als Gleichstromtrasse gebaut.
Der Vorschlag führt von Wilster (Schleswig-Holstein) aus an Verden vorbei, zwischen Hannover und Lehrte durch, vorbei an Hildesheim. Danach geht es in südwestlicher Richtung an Höxter, Warburg (NRW) und westlich an Kassel vorbei. Von dort an Bad Hersfeld vorbei Richtung Süden, um Fulda passierend in das bayerische Grafenrheinfeld zu münden. Der noch nicht geplante zweite Abschnitt des „SuedLinks“ soll von Brunsbüttel nach Großgartach in Baden-Württemberg führen.
Die Trasse ist eine von drei großen Neubauprojekten im Zuge der Energiewende. Als zweites Großprojekt ist eine 450 Kilometer lange Trasse zwischen Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) und Meitingen (Bayern) geplant. Das dritte Großprojekt ist eine rund 500 Kilometer lange Trasse von Emden über Osterath in Nordrhein-Westfalen, an Essen, Düsseldorf und Bonn vorbei bis hinunter nach Philippsburg in Baden-Württemberg. Hierzu gibt es aber noch keine Trassenvorschläge.
Als Gesamtkosten werden mindestens zehn Milliarden Euro für insgesamt 36 Ausbau- und Netzverstärkungsprojekte veranschlagt. Wenn die Leitungen als Erdkabel verlegt werden, wird es teurer. Insgesamt sollen 2800 Kilometer neu gebaut und 2900 Kilometer optimiert werden.
In Bayern gibt es gegen die vom Betreiber Amprion geplante Höchstspannungstrasse nach Meitingen aber bereits so massive Proteste, dass die CSU-Landesregierung nun ein Moratorium fordert. 2013 hatten Bundestag und Bundesrat allerdings mit CSU-Beteiligung das Bundesbedarfsplangesetz beschlossen, das die 36 Projekte umfasst.
Mit der geplanten Ökostrom-Reform ändere sich die Geschäftsgrundlage, argumentiert die bayerische Landesregierung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Mit Blick auf eine mögliche Drosselung beim Ausbau gerade der Windenergie wird gefordert, die Planungen neu zu justieren. In Bayern finden im März Kommunalwahlen statt.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) forderte Seehofer dazu auf, jetzt auch die Konsequenzen der Energiewende mitzutragen. „Windenergie braucht aber neue Netze - sonst steht unser Land bald ohne Strom da“, sagte Albig der Deutschen Presse-Agentur. Sein Umweltminister Robert Habeck forderte ein Machtwort der Kanzlerin.
Seehofer verteidigte im bayerischen Landtag das Trassenmoratorium. Zunächst werde nun das Erneuerbare-Energien-Gesetz überarbeitet und die neue Versorgungsstruktur festgelegt - dann werde man sich noch einmal anschauen, welche Stromtrassen gebraucht würden. „Es kommt auf die Schrittfolge an.“
Die Bundesregierung wies die Argumentation zurück, mit der von Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) angestrebten Ökostrom-Reform ändere sich auch die Geschäftsgrundlage beim Netzausbau. Eigentlich gebe es einen breiten Konsens zwischen Bund und Ländern. Es wäre nun nicht sehr hilfreich, die gesamte Netzarchitektur infrage zu stellen, sagte Gabriels Sprecher.
Tennet-Geschäftsführer Hartman kritisierte, bis zu einer Einigung warte man mit dem Start des Bürgerdialoga über den Trassenverlauf. Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) forderte von Seehofer Vertragstreue: „Bayerns Distanzierung von den bisherigen Netzausbauplänen schürt unnötig Zweifel und hilft niemandem.“