Analyse: Rot-Grün kommt in Berlin nicht zusammen
Berlin (dpa) - Für die meisten Berliner Sozialdemokraten und Grüne ist es das Mega-Desaster. Die Mehrheit in beiden Parteien sehnt sich geradezu danach, endlich mal richtig miteinander zu regieren.
Nicht so wie beim letzten Mal 2001 in einem Übergangs- und Minderheitssenat. Und dann verbocken es die Spitzenleute auf beiden Seiten so gründlich, dass die Koalitionsgespräche schon in der ersten Runde platzen.
Der rot-grüne Traum zerschellte auf einem 3,2 Kilometer langen Autobahnteilstück. Der Euphorie über das schnelle Ja der Parteispitzen zum Ausloten eines Regierungsbündnisses folgte am Mittwoch die Ernüchterung.
Der Katzenjammer ist bei der Verkündung des rot-grünen Bruchs gut zwei Wochen nach der Wahl sichtbar. Während im Roten Rathaus Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und SPD-Chef Michael Müller wortreich begründen, warum es aus ihrer Sicht nicht mit den Grünen geht, stehen deren Vertreter mit ernsten bis bedröppelten Gesichtern hinten im Raum.
Wie hatte es soweit kommen können? Mit Wowereit und Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann hatten sich in den Verhandlungen zwei Alpha-Männchen gegenüber gestanden, die von ihren verhärteten Positionen ohne Gesichtsverlust nicht mehr runterkamen. Beide hatten vor der Wahl das Thema A100 zum Knackpunkt hochstilisiert. Der SPD-Regierungschef hatte sein Amtsgewicht in die Waagschale geworfen, Ratzmann hatte gewettert, mit den Grünen sei die Autobahn nicht zu verlängern.
„Das können Sie nur mit der CDU machen“, betonte Ratzmann in der letzten Abgeordnetenhaussitzung vor der Wahl. Darauf wird jetzt alles hinauslaufen. Bereits am Nachmittag sollte der SPD-Landesvorstand das Signal von Rot-Grün auf Rot-Schwarz stellen. Die Berliner CDU wurde von dieser dramatischen Entwicklung überrascht. Seit Tagen verkündeten deren Spitzenleute, man habe sowieso nie mit Koalitionsverhandlungen gerechnet. Man wisse genau, dass die CDU nicht der Wunschkoalitionspartner der Sozis sei.
Doch die CDU stehe zu ihrer Verantwortung als zweitstärkste Kraft in Berlin, betonte deren Partei- und Fraktionschef Frank Henkel schon wenig später aus seinen freien Tagen in Thüringen. „Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen.“
Der SPD-Basis wird das sauer aufstoßen. Es gebe doch abseits der A100 so viele Gemeinsamkeiten mit den Grünen, sei es bei der Bildung, dem Umweltschutz, neuen zukunftsorientierten Arbeitsplätzen oder der Integration, hieß es immer wieder von vielen Genossen. Doch darüber wurde in den drei Sondierungen kaum gesprochen.
Auch wer nun weniger kompromissbereit war, wird kaum zu belegen sein. Fraktionschef Ratzmann betonte, die Grünen seien bis an ihre Schmerzgrenze gegangen und hätten dem Weiterbau der A100 rund 900 Meter bis zur Sonnenallee zugestimmt. Aus der SPD wird ein anderer Eindruck vermittelt.
Am Dienstag in der dritten Sondierung habe die Grünen-Spitze dem SPD-Vorschlag zugestimmt, eine Frist einzufügen, dass bis Ende 2013 die Verhandlungen mit dem Bund über eine Umwidmung der Mittel ein Ergebnis gebracht haben müssen. Am Mittwoch sei davon keine Rede mehr gewesen, der Kompromiss sei zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden völlig umgekehrt worden. Welche Darstellung richtig ist, bleibt den Beobachtern verborgen.
Ratzmann nennt einen anderen Grund. „Nach unserem Dafürhalten steckt etwas anderes dahinter. Vielleicht die Angst bei der SPD, dass bei einer so knappen Mehrheit in den eigenen Reihen die Zuverlässigkeit nicht mehr da ist“, mutmaßte der Grüne öffentlich. SPD und Grüne hätten im neuen Abgeordnetenhaus mit zusammen 76 Mandaten nur eine Stimme mehr als die absolute Mehrheit gehabt, die vor allem zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters gebraucht wird.
Die Grünen erinnerten so an das Trauma Wowereits, der 2006 im ersten Wahlgang durchgefallen war. Welche zwei Abgeordneten ihm aus dem damals rot-roten Regierungslager die Gefolgschaft verweigerten, ist bis heute nicht geklärt. Es könnten auch SPDler gewesen sein.