Analyse: Schicksalswochen für Merkels Koalition

Berlin (dpa) - Die Kanzlerin macht entspannte Miene zur vertrackten Lage: Aufmunternd, fast fröhlich lacht Angela Merkel ihrem Vizekanzler zu, als sich die schwarz-gelbe Regierungsmannschaft am Mittwoch wie gewohnt um 9.30 Uhr im Kabinettssaal des Kanzleramts trifft.

Guido Westerwelles Lächeln für die Fotografen wirkt eher verkniffen, er konzentriert sich auf die Unterlagen. Erst ein paar Stunden ist es her, dass er nach hartem Machtkampf den Parteivorsitz an einen Jüngeren verloren hat.

Bis Mitte Mai kann Westerwelle noch wie gewohnt als Vizekanzler am Kabinettstisch gleich rechts neben Merkel Platz nehmen. Danach muss er den Sessel seinem Nachfolger überlassen. Gesundheitsminister Philipp Rösler, der dann auf einem Parteitag zum neuen starken Mann der FDP gewählt werden soll, sitzt an diesem Mittwoch noch ganz rechts außen, fast am Ende des Ovals. Das Wort habe er nicht ergriffen, erzählen Teilnehmer - seine Themen seien nicht auf der Tagesordnung gewesen. Gespannt hört er zu, wie die Runde routinemäßig die Tagesordnung abarbeitet.

Zu Beginn erzählt Merkel kurz vom Telefonat mit Rösler vom Vorabend. Die Vizekanzlerfrage stellt sie mit der knappen Bemerkung zurück, für weitere Entscheidungen werde der FDP-Parteitag abgewartet. Als heiter und konzentriert wird die Atmosphäre beschrieben, es sei sogar mehr gescherzt worden als üblich. Vor allem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sei bester Laune gewesen, locker und gelöst wie immer. Kein Wunder: Sein Ministerposten hatte schwer gewackelt, doch zumindest vorerst hat er ihn gegen die Kritiker aus den eigenen Reihen verteidigt.

Die Kabinettsszene, die Routine demonstrieren soll, kann über die wahre Lage von Schwarz-Gelb aber nicht hinwegtäuschen. Es sind Schicksalswochen für die Koalition. Seit langem ist die FDP mehr mit sich selbst als mit den großen Problemen der Republik beschäftigt - Atomkraft, Eurorettung, Bundeswehr. Die Umfragen gehen in den Keller, am Mittwoch schockten neue Zahlen die Koalitionäre. Union und FDP liegen demnach 18 Punkte hinter Grün-Rot. Die FDP wäre mit drei Prozent gar nicht mehr im Bundestag vertreten.

Doch Merkel sind die Hände gebunden. Sie muss abwarten, ob und wie sich ihr Partner aus der Personalmisere befreit, inhaltlich neu aufstellt und im Ansehen berappelt. „Stillhalten, bloß keine Querschüsse“, scheint das Motto der Unionisten zu sein. Bei allem Ärger über die Eskapaden der Westerwelle-FDP etwa in der Sozialdebatte („spätrömische Dekadenz“) haben sie in der CDU großes Interesse daran, dass den Liberalen die Neuaufstellung gelingt.

Schon im Koalitionsausschuss am Dienstagabend, ganz kurz nach den dramatischen Sitzungen der FDP, versucht Schwarz-Gelb, in ruhigere Bahnen zu kommen. Im Kanzleramt habe Merkel Westerwelle zur Begrüßung gedankt, wird erzählt. Der machte im Gegenzug klar, am Willen seiner Partei zum Erfolg der Koalition werde sich nichts ändern. Ganz am Schluss sei dann doch noch sehr offen über die jüngsten Vorgänge gesprochen worden. Westerwelle habe deutlich seinen Ärger über manche Parteifreunde gezeigt. Die Runde habe gespürt, wie sehr ihn die Ereignisse berührt hätten, heißt es.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe resümiert, das Koalitionstreffen sei vom Willen geprägt gewesen, bei wichtigen Themen voranzukommen. Und Rösler, der erst als Parteichef zur Stammbesetzung der Runde gehören wird, spricht im Fernsehen von einem Neuanfang für die FDP. Und er versichert: „Das ist eine stabile Koalition.“

In der Union setzen sie viel Hoffnung auf Rösler - auch wenn sich manche größere Veränderungen an der FDP-Spitze gewünscht haben. Schließlich habe der Mann in Niedersachsen an einer erfolgreichen schwarz-gelben Regierung mitgearbeitet. Und er stehe für einen neuen Ton der FDP, in dem weniger soziale Kälte gegen die Schwächeren in der Bevölkerung als unter seinem Vorgänger mitschwinge, heißt es.

Sogar die Tatsache, dass der Arzt Rösler sein Gesundheitsressort behält, wird beim großen Koalitionspartner als gar nicht so problematisch dargestellt. Eigentlich gilt der Posten als undankbar, weil fast nur schlechte Nachrichten zu verkaufen sind. Doch schließlich könne der 38-Jährige in dem Amt für seine Partei auch soziale Kompetenz beweisen. Zugleich wird aufmerksam registriert, wie sich Rösler im Machtkampf um den Titel des Vizekanzlers durchgesetzt hat. Man solle Lächeln nicht mit Schwäche gleichsetzen, lautet die Analyse.