Analyse: Tödlicher Terror in Norwegen
Oslo (dpa) - Erst eine gewaltige Explosion im Regierungsviertel und dann ein Amoklauf gegen Jugendliche: Der tödliche Terror trifft Norwegen völlig überraschend und mitten in der Ferienzeit.
Als am Freitagnachmittag das Osloer Regierungshauptquartier von einer gewaltigen Bombenexplosion erschüttert wird, ist die halbe Hauptstadt auf dem Land oder in südlicheren Gefilden. Wenig später die nächste entsetzliche Meldung aus einem Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF: Ein als Polizist verkleideter Mann feuert auf der kleinen See-Insel Utøya westlich der Hauptstadt Schüsse auf Jugendliche ab. Bilanz beider Attacken: Mindestens 17 Menschen sterben, viele weitere werden verletzt.
Polizeisprecher Erik Sem-Jacobsen sagt im TV-Sender NRK: „Wir gehen davon aus, dass zwischen beiden Taten ein Zusammenhang besteht.“ Zudem glaubt die Polizei, dass der auf der Insel festgenommene Mann Stunden zuvor in Oslo gesehen wurde.
Für die Norweger, die bis dahin in friedlicher Ferienstimmung den Sommer genießen, sind es Bilder wie aus einem fürchterlichen Alptraum: In ihrer Hauptstadt irren blutende Verletzte bei regnerischem Wetter durch die Straßen des Regierungsviertels. Die Fensterfront des Hochhauses mit dem Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg ist fast völlig zerstört.
Kurz nach dem Anschlag steht fest, dass mindestens sieben Menschen der Bombe zum Opfer gefallen sind. Im Osloer Ulleval-Krankenhaus werden mehrere Verletzte behandelt. Während die Polizei aus Angst vor weiteren Detonationen in der Innenstadt den Bahnhof evakuiert, kommt die zweite schreckliche Nachricht von einer kleinen Insel westlich der Hauptstadt: Ein als Polizist verkleideter Mann schießt plötzlich auf Jugendliche, die Ferien machen. Er tötet nach Polizeiangaben zehn Menschen.
Der Mann habe „wild um sich geschossen“, berichten Augenzeugen. Zu Tode verängstigte Jugendliche springen ins kalte Wasser, um sich ans Festland zu retten. Andere verschicken in Todesangst Twitter-Mitteilungen: „Es geht uns gut, wir müssen abwarten. Aber jetzt wird wieder geschossen.“
Die Polizei fürchtet nach der Detonation in Oslo, dass möglicherweise noch weitere Bomben in der Innenstadt platziert sein könnten. Erst sperrt sie die Umgebung des Regierungsviertels am Youngstorget weitläufig ab, dann lässt sie nach zwei Stunden auch den Hauptbahnhof räumen.
In dem Hochhaus mit Stoltenbergs Büro im obersten Stockwerk sind mehrere Ministerien untergebracht. Das Erdgeschoss sei „wie weggeblasen“, heißt es in einem Augenzeugenbericht der Zeitung „Aftenposten“. Das Energie- und Ölministerium ganz in der Nähe sei am schlimmsten verwüstet worden. Weder der hier zuständige Minister Ola Borten Moe noch Regierungschef Jens Stoltenberg, beide von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, sind laut Polizei unter den Verletzten.
Völlige Ratlosigkeit herrscht in Oslo über die möglichen Motive. Internationaler Terrorismus oder eine norwegische Gruppe von Wirrköpfen? Am Abend - so die Polizei - scheint es auf letztere Variante hinauszulaufen. Norwegens Mitte-Links-Regierung mit Stoltenberg an der Spitze hat im Gegensatz zur Regierung im benachbarten Dänemark auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern gesetzt.