Analyse: Tsipras steuert Griechenland in schwere See
Athen (dpa) - Es waren Nachrichten von wohl unabsehbarer Tragweite. Erst kündigte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras an, das Volk solle über das von ihm selbst abgelehnte Sparprogramm der Gläubiger abstimmen.
Daraufhin riss den Finanzministern der Eurogruppe der Geduldsfragen: Dienstag ist Schluss, hieß es aus Brüssel. Damit rückte die seit langem gefürchtete Staatspleite gefährlich nahe.
Die seit Jahren unter der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise leidende Bevölkerung nahm die Hiobsbotschaften aber zunächst überraschend gelassen auf. Zwar räumten wieder viele Bürger ihre Bankkonten leer, darunter laut griechischen Medienberichten auch Minister und Abgeordnete des regierenden Linksbündnisses Syriza. Aber der befürchtete Panik-Ansturm auf die Banken blieb zunächst aus.
Allerdings bildeten sich an einigen Tankstellen und vor Supermärkten erste längere Schlangen - ein Vorgeschmack auf eine mögliche Verschlechterung der Lage. Viele Menschen sind zwar nervös, aber auch einfach nur müde und apathisch angesichts des Dauerdramas.
Das Parlament debattierte unterdessen unbeeindruckt von der Entwicklung weiter über das für Sonntag kommender Woche geplante Referendum. Obwohl es dann gar kein Spar- und Reformprogramm der Geldgeber mehr gibt und niemand so recht wusste, worüber die Bevölkerung eigentlich abstimmen soll.
Ohnehin war von vornherein unklar, worüber abgestimmt werden sollte. Bisher waren nur Fragmente und Entwürfe von Maßnahmen, etwa Mehrwertsteuererhöhungen beispielsweise für die Hotellerie sowie bei Lebensmitteln, an die Öffentlichkeit durchgesickert. Tsipras tat das vorgeschlagene Programm mit den Worten ab, es sehe Steuererhöhungen und Rentenkürzungen vor und werde kein Wirtschaftswachstum ermöglichen. Varoufakis sagte in Brüssel, die Regierung habe kein Mandat für ein Programm, das die Wirtschaft des Landes weiter abwürgen würde.
Syriza wolle über eine Illusion abstimmen, es gebe keinen Plan, kritisierte der Abgeordnete der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), Kyriakos Mitsotakis.
Analysten in Athen beschäftigte vor allem die Frage nach Griechenlands Verbleib in der Eurozone. Die konsvervative Athener Zeitung „Eleftheros Typos“ schrieb am Samstag: „Euro oder Drachme?“. Tsipras würfele um die Zukunft Griechenlands.
Tatsächlich werfen beide möglichen Ergebnisse des Referendums Fragen auf. Lehnt die griechische Bevölkerung die vorgeschlagenen Reform- und Sparmaßnahmen ab, würde die Regierung gestärkt an den Verhandlungstisch in Brüssel zurückkehren, um weniger einschneidende Sparmaßnahmen auszuhandeln, meinten Syriza-Funktionäre noch am Vormittag. Dies erschien nach den Reaktionen der Euro-Finanzminister als reines Wunschdenken.
Findet sich hingegen eine Mehrheit für das nicht mehr vorhandene Sparprogramm, stünde Tsipras' Koalition vor der Situation, eine Politik, an die sie nicht glaubt und die von der Eurogruppe nicht mehr unterstützt wird, umsetzen zu müssen. Dann müsste Tsipras eigentlich zurücktreten und es müsste Neuwahlen geben.
In Umfragen hatte sich in Griechenland bisher eine Mehrheit für einen Verbleib in der Eurozone und für die Zustimmung zu härteren Sparmaßnahmen abgezeichnet. Aber eine solche Frage stellt sich wohl gar nicht mehr. Griechenland steuert nun auf unbekannte und stürmische Gewässer zu.