Analyse: Verändert die US-Gaswende die politische Landkarte?
Berlin (dpa) - Erstmals steht bei der Münchener Sicherheitskonferenz die „Gaswende“ in den USA oben auf der Agenda. Wegen des sogenannten Frackings fallen dort die Energiepreise. Das Land wird unabhängiger von Importen aus Krisenländern - die Folgen können gravierend sein.
Philip D. Murphy liefert seinen deutschen Zuhörern gleich den passenden Begriff mit für das, was da in seiner Heimat gerade abläuft. Der amerikanische Botschafter spricht von einer „Schiefergaswende“. Sie habe das Potenzial, „die Weltkarte der Energieversorgung und Energienachfrage kurz- bis mittelfristig zu ändern“, betont er bei seinem Vortrag vor Vertretern der deutschen Energiewirtschaft. Während Deutschland mit ausufernden Stromkosten durch seine so ganz andere „Energiewende“ zu kämpfen hat, purzeln in den USA die Energiepreise - sie sind teils 50 Prozent geringer.
Beim sogenannten Fracking wird mit hohem Druck ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in die Erde gepresst, um das Gestein aufzubrechen, damit das Gas entweichen kann. Kritiker befürchten eine mögliche Verseuchung des Grundwassers durch den Chemikalieneinsatz. In Deutschland ist der Protest groß, etwa in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bisher gibt es keine bundesweite Regelung. Am Freitag forderte der Bundesrat den Bund auf, strenge Auflagen für die umstrittene Gasgewinnung zu erlassen.
Die Internationale Energieagentur (IEA) konstatierte in ihrem jüngsten Bericht eine dramatische Veränderung der globalen Energie-Landkarte. Die USA könnten schon in fünf Jahren der größte Öl- und Gasproduzent der Welt werden und sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren von Importen ganz unabhängig machen - auch die Ölschätze im Gestein sind enorm. Der Bundesnachrichtendienst (BND) kommt in einer neuen Studie nach Angaben des „Spiegel“ zu dem Schluss, dass die außen- und sicherheitspolitische Freiheit der Regierung von Präsident Barack Obama durch den heimischen Rohstoffboom fundamental steigt.
Das Drohpotenzial von Öllieferanten wie dem Iran könnte schwinden. Eine Sperrung der Straße von Hormus würde ihren Schrecken verlieren. Und die USA müssten keine Kriege mehr führen, um Zugriff auf fossile Rohstoffressourcen zu bekommen. Zudem könnten viele Milliarden Dollar jährlich gespart werden, wenn die Militärpräsenz im Nahen und Mittleren Osten reduziert würde - während gerade Chinas Abhängigkeit von den fossilen Rohstoffquellen dieser Region stark steigen wird.
Ein Verlierer könnte auch Russlands Präsident Wladimir Putin sein, dessen Macht auch auf den Gaseinnahmen seines weiten Reiches gründet. Denn die Revolution kann dazu führen, dass Abnehmer russischen Gases ihre Importe künftig anderweitig abdecken. Die ING-Bank sieht in einer Studie schon Tanker mit verflüssigtem, billigem Schiefergas aus den USA den Atlantik nach Europa überqueren. Die politische Macht Russlands würde dann rapide schwinden. Gleiches gilt für die aufstrebenden Scheichs im arabischen Raum. Zudem könnte es Nachahmer für diese unkonventionelle Förderung geben, allein das notorisch rohstoffarme Deutschland hat nach einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) tief unter der Erde Reserven, mit denen sich der komplette Gasbedarf für 13 Jahre decken ließe.
Verlieren die USA also ihr Interesse etwa am Nahen und Mittleren Osten? Stormy-Annika Mildner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt nicht an große Veränderungen. „Die USA beziehen ohnehin nur noch etwa die Hälfte ihre Ölimporte aus OPEC-Ländern.“ Die Abhängigkeit von der Krisenregion des Nahen und Mittleren Ostens sei schon jetzt niedriger, als die öffentliche Wahrnehmung suggeriere, sagt die Energie- und Ressourcenexpertin. Zudem würden sowohl Europa als auch Asien von den Öl produzierenden Ländern des Nahen und Mittleren Ostens abhängig bleiben: „Für sie ist also das Versorgungsrisiko durchaus gegeben. Die USA haben kein Interesse daran, dass es in diesen Regionen aufgrund von Lieferunterbrechungen zu wirtschaftlichen Verwerfungen kommt.“