Analyse: Volkswirte warnen vor Rezessions-Panik
Berlin (dpa) - Wohl mehr als 10 000 Tote, Produktionsausfälle und Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe: Die Erdbebenkatastrophe in Japan erschüttert die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt bis ins Mark.
Da stellt sich vielen die Frage: Droht dem Land jetzt der neuerliche Absturz in eine Rezession?
Und könnten die Schockwellen die Weltwirtschaft schon wieder in den Abgrund stürzen - nachdem die globale Krise 2008/09 gerade eben überstanden ist? dpa fasst das Thema in Fragen und Antworten zusammen:
Wo und wie trifft die Katastrophe Japans Wirtschaft am meisten?
Japan ist ein Industrieland mit weltweit bekannten Herstellern in Branchen wie Auto, Maschinenbau und Elektronik. Diese sind überall da unmittelbar betroffen, wo Produktionsanlagen zerstört sind und die Energieversorgung zusammenbricht oder wo wegen Produktionsstopps bei Zulieferern wichtige Teile ausbleiben, bei einer so arbeitsteilig organisierten Wirtschaft wie Japan ein wichtiger Aspekt. Unzählige Unternehmen von Toyota, Honda und Nissan über Canon, Sony und Panasonic bis hin zu Ölraffinerien und Stahlherstellern haben Medienberichten zufolge Schäden gemeldet - und zum Teil die Produktion eingestellt.
Dann müssen die Einbußen doch immens sein?
Commerzbank-Volkswirt Wolfgang Leim weist in einer ersten Analyse vom Freitag darauf hin, dass das Beben selbst eine Region erschüttert hat, die nur 2,5 Prozent zum japanischen Bruttoinlandsprodukt beisteuere - also ein geringes Gewicht an der Wirtschaftsleistung. „Bedeutender sind die Produktionsausfälle im Großraum Tokio, der etwa 18 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt“, rechnet Leim vor. Zudem dürften Schließungen von Fabriken, Raffinerien und Kraftwerken die Prouktion landesweit treffen. Daher rechnet Leim für das 1. Quartal 2011 mit einem erneuten Rückgang des Bruttoinlandsproduktes.
Also doch der Rückfall in die Rezession, nachdem auch das Schlussquartal 2010 nicht so gut verlaufen ist?
Nein. Nach rund 4 Prozent Wachstum 2010 war zwar vor dem Beben ein Rückgang des Wirtschaftswachstums auf rund 1,4 Prozent prognostiziert worden. Dass es noch schlimmer kommt, gilt als unwahrscheinlich, weil die Ausfälle - wie nach größeren Streiks - irgendwann aufgeholt werden. Außerdem folgten auf einen möglichen Einbruch nach dem Beben „erhöhte Ausgaben zur Behebung der Schäden“, so Leim. Der Heidelberger Japanologe Harald Fuess weist darauf hin, dass die Japaner über gewisse Routine im Wiederaufbau nach Naturkatastrophen verfügen. „Das Land ist viel schneller als beispielsweise Deutschland, wenn es darum geht, Häuser und Straßen zu reparieren.“
Was macht die Experten da so sicher? Gibt es vergleichbare Erfahrungen?
Fachleute sprechen vom „Kobe-Effekt“. In der japanischen Stadt hatte 1995 ein schlimmes Erdbeben große Schäden angerichtet, und die Produktion brach kurzfristig landesweit ein, was aber schon in den Folgemonaten wettgemacht wurde. Allerdings dürften die aktuellen Schäden wesentlich höher sein als damals in Kobe. Das Geld für den Wiederaufbau ist zudem da. Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise weist darauf hin, dass Japan weltweit eines der am besten versicherten Länder sei. Schwerer wiegen könnten Produktionsausfälle, falls diese länger anhalten. Nach Schätzung des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer könnten bei dreimonatigem Stillstand 2,5 Millionen Autos nicht gebaut werden - wobei ein Drittel durch Verlagerung in Werke außerhalb Japans wettgemacht werde könnte. Den Schaden für die japanische Autoindustrie beziffert Dudenhöffer in diesem Szenario mit 25 Milliarden Euro.
Gibt es in Japan Notfallpläne, um die Wirtschaft in Gang zu halten?
Die größte ökonomische Sorge gilt kurzfristig dem Finanzsystem. Außerdem ächzt der Staat unter einer beispiellosen Schuldenlast von mehr als 200 Prozent der Wirtschaftsleistung. An den Märkten wird damit gerechnet, dass die Notenbank mit einer massiven Geldspritze die wirtschaftlichen Folgen dämpfen will. Bereits am Montag könnten demnach die Währungshüter den Märkten mehrere Billionen Yen zur Verfügung stellen, wie die japanische Nachrichtenagentur Jiji ohne Quellen berichtet. Bei Banken in Japan standen laut Mitteilung der Zentralbank schon am Wochenende Kunden Schlange, um Geld abzuheben. Die Bank of Japan hatte bereits am Freitag nach dem Beben angekündigt, alles mögliche zu unternehmen, um die Stabilität der Finanzmärkte zu sorgen.
Japan ist ja eine große Wirtschaftsmacht, die drittgrößte hinter den USA und China. Muss die Welt jetzt eine neue Rezession fürchten?
Überspitzt gesagt: Die Welt ist für die japanische Wirtschaft wichtiger als Japans Ökonomie für die Weltwirtschaft. Die Erschütterungen nach der Lehman-Pleite 2008 oder das Platzen der Dotcom-Blase 2000/01 hatten weltweit Auswirkungen auf die Finanzsysteme, mit Dominoeffekten auf die Realwirtschaft. Selbst das Platzen der japanischen Immobilienblase 1990 hatte Leim zufolge schwerere Konsequenzen als das Kobe-Erdbeben. Allianz-Ökonom Heise sieht weiterhin die explodierenden Rohstoffpreise und die Schuldenkrise in Europa als die entscheidenden Gefahren für die Weltwirtschaft. Auf der Habenseite steht zudem die unerwartet kräftige Erholung vieler Ökonomien 2010/11. Vor allem die asiatischen Handelspartner der Exportnation Japan befänden sich in einem starken und selbsttragenden Aufschwung. „Das hilft natürlich auch Japan.“
Japanische Marken sind in Deutschland allgegenwärtig. Wie stark ist denn die deutsche Wirtschaft betroffen?
Eher wenig. Dazu ist die Bedeutung Japans für die deutsche Wirtschaft zu gering. Als Abnehmer deutscher Waren rangiert Japan mit rund 18 Milliarden Euro (1,9 Prozent aller deutschen Warenausfuhren) nur auf Platz 18 - und bei den Einfuhren auf Platz 14, mit 22,1 Milliarden Euro (2,7 Prozent aller Warenimporte).