Analyse: „Von den Ereignissen überrollt“

Brüssel (dpa) - Der Stresstest für Europas Banken erinnert an einen Auto-Crashtest: Die Bankenaufsicht EBA ließ 90 Geldhäuser vor die Wand fahren - aber nach Ansicht von Volkswirten nicht in rasanter Fahrt, sondern nur im Schritttempo.

„Das Auto bekam Kratzer, aber man kann damit noch nach Hause fahren“, beschreibt Volkswirt Jürgen Michels von der Citigroup das Ergebnis. Wie schon im Vorjahr blieben bei der zweiten Runde der Tests Überraschungen aus: Acht Banken fielen durch - Experten hatten ursprünglich mit doppelt so vielen gerechnet, die einem Wirtschaftseinbruch nicht standhalten könnten. Auch wenn die Kriterien strenger als 2010 waren, so fehlte in der Simulation fast komplett das große Thema, das die Finanzmärkte umtreibt: Die Pleite eines Euro-Landes.

Dabei mehren sich die Anzeichen, dass eine Teilentschuldung des krisengeschüttelten Griechenlands näher rückt - unter Beteiligung privater Gläubiger, sprich: der Banken. Das Überleben eines Instituts würde in einer solchen Lage mit davon abhängen, wieviele griechische Staatsanleihen ein Haus in seinen Büchern hat, die dann ausfielen.

„Das eigentliche Problem liegt nicht - wie nun getestet - in den Verlusten der Banken, sondern im Zugang zum Kapitalmarkt und in der Liquidität“, sagt Daniel Gros, Leiter des Centre for European Policy Studies (CEPS). Der Stresstest, der schon vor Monaten entworfen wurde, sei von den Ereignissen überrollt worden. Aussagekraft habe er nur dann, wenn die EU-Politik einen Ausweg aus der Staatskrise finde: „Der Kriegsschauplatz sind nicht mehr die Banken, sondern der Euro.“

Um das Feuer an den Finanzmärkten zu löschen, kommen die Euro-Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag (21.) zu einem Sondergipfel nach Brüssel. Auf der Agenda steht das zweite Hilfspaket für Athen, an dem in Europas Hauptstädten derzeit fieberhaft gearbeitet wird.

Bankenkrise und Euro-Schuldenkrise sind nur zwei Seiten derselben Münze. Im krisengeschüttelten Griechenland stand am Anfang die Staatsschuldenkrise, die seitdem die Banken unter Druck setzt. In Irland waren es dagegen die maroden Geldhäuser, die den Staat in den Abgrund rissen. „Das ist ein Teufelskreis“, sagt Bankenprofessor Martin Faust. „Über die Bankenkrise können Staaten wie Griechenland, Portugal und Spanien neue Probleme bekommen und umgekehrt.“

An den Börsen dürften an diesem Montag die Ergebnisse der Bankentests nicht für Aufregung sorgen - alle Blicke gehen schon zum Gipfel. Mit acht Durchfallern gibt es ja auch keinen Anlass für hektische Rettungsaktionen. Spaniens Zentralbank stellte sogleich klar, dass die fünf gescheiterten spanischen Banken kein frisches Kapital brauchten - die Häuser hätten den Test nur deswegen nicht bestanden, weil die Aufseher spezielle Rücklagen nicht berücksichtigten. EBA-Chef Andrea Enria gab aber keine Entwarnung: „Wir haben unser Haus noch nicht aufgeräumt.“

Durchfaller müssen sich bis Jahresende mit frischem Kapital versorgen, doch einen Zwang gibt es nicht. „Wir geben keinen Betrag vor“, sagte Aufseher Enria. Nach Expertenansicht haben die USA es 2009 mit ihrem ersten Stresstest besser gemacht: Die US-Regierung nahm die 19 größten Geldinstitute unter die Lupe, 10 mussten danach auf Anordnung von Finanzministerium und Notenbank ihre Kapitaldecke stärken.

In Europa will die EU-Kommission in dieser Woche (20.) neue Regeln zum Eigenkapital von Banken vorschlagen. Damit werden internationale Mindeststandards („Basel-III“) umgesetzt. Zudem können die meisten Länder mit Durchfallern auf existierende staatliche Auffangschirme verweisen. „Die entscheidende Frage ist aber: Sind die Länder in der Lage, ihre Banken zu stützen? Daran gibt es Zweifel“, sagt Volkswirt Michels. Um das Bankensystem Europas wirklich auf eine solide Basis zu stellen, benötige man tatkräftige staatliche Hände. „Da es die in der schwelenden Krise nicht gibt, stecken wir in einem Teufelskreis.“

Viel wichtiger als die Ergebnisse selbst könnten die Folgen des wochenlangen Gezerres zwischen Banken und Aufsehern um die Kriterien der Tests sein. „Die psychologische Wirkung ist fatal“, warnt Bankenprofessor Martin Faust. In der breiten Bevölkerung schwinde das Vertrauen in heimische Sparkassen und Banken, was die Krise in Griechenland, Portugal oder Irland verschärfen könnte. „Es besteht die Gefahr, dass manch einer sein Geld ins Ausland bringt und ein Bankkonto in der Schweiz eröffnet.“ Der Kölner Bankenprofessor Thomas Hartmann-Wendels fordert daher für die nächste Runde der Tests 2012: „Gut wäre, die Ergebnisse nicht mehr zu veröffentlichen. Das Thema Bankenaufsicht ist nichts für den Jahrmarkt.“

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