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Berlin (dpa) - Die neuen FDP-Minister sind im Amt. Die Liberalen schauen nun mit Spannung auf den nächsten Akt im FDP-Drama: Den Parteitag in Rostock.
Daniel Bahr, der sich im FDP-Personalgeschacher der vergangenen Tage gar nicht zimperlich gezeigt hatte, nahm artig Haltung an, als ihm „Frau Bundeskanzler“ zum neuen Amt gratulierte. Bundespräsident Christian Wulff hatte den bisherigen Staatssekretär im Gesundheitsministerium in Anwesenheit von Angela Merkel (CDU) gerade zum Ressortchef ernannt. Der Präsident schrieb ihm bei der Ernennung im Schloss Bellevue ins Stammbuch: „Sie können sich niemals herausreden, sie hätten es nicht gewusst, was Sie erwartet.“
Das Gesundheitsministerium sei eines der anspruchsvollsten Ressorts, sagte Wulff weiter und tat dies wohl nicht ohne Hintersinn. Der künftige FDP-Chef Philipp Rösler drängte nämlich regelrecht aus diesem Amt, das so viel Verantwortung und Mühen und so wenig Ruhm und Ehre bereitet - ins Wirtschaftsressort, das wiederum Rainer Brüderle freimachen musste.
Und Bahr, neben Rösler und FDP-Generalsekretär Christian Lindner einer der drei Antreiber im liberalen Personalkarussell, beklagt sich dem Vernehmen nach inzwischen auch schon darüber, dass ihm letztlich „nur“ diese undankbare Aufgabe übrig blieb. Er wollte nämlich auch Parteivize werden. Doch daraus wurde nichts, weil Rösler die bisherige Fraktionschefin Birgit Homburger „einbinden“ musste.
Nachdem der Kabinettsteil der FDP-Personalrochade am Donnerstag erledigt war, konzentrierte sich alles auf den Parteitag in Rostock. Nach der Dramaturgie der Parteispitze soll der Freitag dem „großen Aufräumen“ dienen. Der scheidende Parteichef Guido Westerwelle wird Rechenschaft über zehn Jahre Vorsitz ablegen. Danach gibt es eine Aussprache. Mit Angriffen gegen den Außenminister wird gerechnet. Sie dürften allerdings nicht so weit gehen, dass sein Verbleib im Regierungsamt infrage steht.
Rösler hat dafür gesorgt, dass der wochenlange Machtkampf um die künftigen Spitzenpersonen in Partei, Fraktion und Kabinett schon vor dem Parteitag entschieden ist. Von seiner ersten Parteichef-Rede am Samstag werden Signale erwartet, in welche Richtung sich die Nach-Westerwelle-FDP bewegen wird, um aus dem Stimmungskeller wieder herauszukommen.
Allenfalls bei den einzelnen Wahlergebnissen wird sich ablesen lassen, wer besonders gestärkt oder geschwächt aus dieser Auseinandersetzung hervorgeht. Das gilt vor allem für Birgit Homburger. Sie hat in der Fraktion bei ihrer Abschiedsrede als Fraktionschefin minutenlangen Applaus erhalten. Bei den mehr als 600 Delegierten in Rostock könnte sie aber erneut das Ventil für den massiven Unmut sein, der sich in der Partei aufgestaut hat.
Um ihre Wahl abzusichern, will Rösler vereinbarungsgemäß selbst Homburger zur Wahl als erste stellvertretende Vorsitzende vorschlagen - eine informelle Vorrangstellung, die bislang Rainer Brüderle zustand. Der neue Fraktionschef Brüderle muss sich dagegen nicht mehr zur Wahl stellen. Er gehört dem Parteipräsidium und dem Koalitionsausschuss qua Amt an.
Eine Personalie stellt sich für den Parteitag nun aber völlig neu. Silvana Koch-Mehrin, bisher ohne Wahl von den Liberalen im Europa-Parlament in die Spitzengremien der Partei entsandt, ist von allen Ämtern zurückgetreten. Die Europa-Politikerin hat - ebenso wie Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg - eine Plagiatsaffäre am Hals.
Sie wolle ihre Familie mit der Debatte nicht weiter belasten, begründete sie den Rückzug am Mittwochabend. Man darf aber wohl auch davon ausgehen, dass sie sich Debatten auf dem Parteitag in der Rostocker HanseMesse über ihre Doktorarbeit und ihre Funktion im Europaparlament ersparen wollte.
Auch dieser Fall kommt den Liberalen sehr ungelegen, zumal einer der Hauptstreitpunkte vermutlich der Euro-Rettungsschirm sein wird. Dafür wäre eine starke Präsenz der liberalen Europapolitiker sicherlich von Vorteil.