Analyse: Werden Satiriker jetzt zahm?
Berlin (dpa) - Sollte man das nächste Mal vielleicht lieber kurz innehalten, bevor man Donald Trump beschimpft, parodiert, karikiert? Ehe man sich's versieht, ist der Mann Präsident - und dann hat er in Berlin auf einen Schlag garantiert viele Freunde.
Falls einem Medienschaffenden gerade ein solcher Gedanke durch den Kopf spukt, müsste man ihm wohl sagen: Alles Unsinn! Erstens ist Amerika das Land des freien Wortes und der uneingeschränkten Redefreiheit. Zweitens hätte ein Präsident Trump wohl andere Sorgen, als sich an deutschen Satirikern zu rächen. Drittens kann Trump den Umfragen zufolge überhaupt nicht gewinnen. Viertens... würde es einfach nie und nimmer geschehen.
Aber Hand aufs Herz: Wer hat kurz nach der Ausstrahlung von Böhmermanns Schmähgedicht im Spartenkanal ZDFneo kommen sehen, was sich in der nächsten Woche entfaltete? Das Gedicht als Hauptnachrichtenthema über Tage. Polizeischutz für Böhmermann. Streit in der Koalition. Die Kanzlerin in Not. Ein solches Szenario wäre einem vor zehn Tagen geradezu verrückt vorgekommen.
Die allermeisten Deutschen hätten sicher auch nicht gedacht, dass in ihrem Land noch ein Majestätsbeleidigungsparagraf aus dem 19. Jahrhundert in Kraft ist. Offenbar kam dieser Umstand selbst für einige Regierungsmitglieder überraschend, anders ist es kaum zu erklären, dass sie den Paragrafen nun schnellstmöglich abschaffen wollen, sich bisher aber kaum je um ihn gekümmert haben.
Bundeskanzlerin Merkel hat die deutsche Justiz am Freitag ermächtigt zu prüfen, ob Böhmermanns Gedicht strafbar ist. Der entscheidende Satz - „Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen“ - war nach Merkelscher Manier so trocken wie möglich formuliert. Aber er enthält Zündstoff. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander, die Republik scheint entzweit.
Am einen Ende des Meinungsspektrums stehen scharfe Kritiker wie Joan Bleicher, stellvertretende Direktorin des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg. „Die Pressefreiheit ist nun auch in Deutschland wie in vielen anderen Ländern Europas gefährdet“, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. „Eine freie Arbeit für Satiriker und Kabarettisten ist künftig nicht mehr möglich.“ „Die Welt“ schrieb am Samstag: „Putin einen Lügner zu nennen, auch wenn er einer ist, kann nach Merkels Kotau vor Erdogan jetzt riskant werden.“
Auf der entgegengesetzten Seite sagt etwa der Politologe Tilman Mayer von der Universität Bonn: „Ich kann mir schon vorstellen, dass Satiriker und Parodisten künftig etwas vorsichtiger sein werden. Das muss aber nicht schädlich sein, sondern trägt im Gegenteil vielleicht dazu bei, in der öffentlichen Debatte wieder ein gewisses Mindestniveau zu beachten. Egal auf wen es gemünzt ist, ob auf Putin, Trump oder wen auch immer: Ein gewisses Maß muss man in einer zivilisierten Gesellschaft einfach einhalten.“
Der Leipziger Journalistik-Professor Marcel Machill glaubt dagegen nicht an eine einschüchternde Wirkung des Ermächtigungsbeschlusses der Bundesregierung: „Wenn überhaupt, dann im Gegenteil: Die Satiriker werden in nächster Zeit bewusst bis ganz an die Grenze gehen, um Böhmermann zu unterstützen. Deshalb fände ich es überinterpretiert zu sagen: Dass da jetzt ermittelt wird, stülpt sich wie eine Glocke über unsere freiheitliche Gesellschaft.“
Interessant sind Äußerungen Merkels, die in der aktuellen „Zeit“-Ausgabe zitiert werden. Sie sind zehn Jahre alt, scheinen aber genau zu der heutigen Situation zu passen. Die Kanzlerin sagte damals bei einem Colloquium in Potsdam, die „Globalisierung der Information“ bringe es mit sich, dass man bei Äußerungen in der Öffentlichkeit nicht mehr nur das lokale Publikum und die deutsche Pressefreiheit vor Augen haben dürfe: „Was bei uns geschrieben wird, ist auch in einem völlig anderen kulturellen Raum sofort verfügbar und erfährt dort eine völlig neue Rezeption. (...) Ich vermute, dass wir hier vor einem Lernprozess stehen.“
Meinte Merkel damit, dass man bei Äußerungen etwa über fremde Staatsoberhäupter immer die Maßstäbe des jeweiligen Landes mitbedenken sollte? Der Politikwissenschaftler Mayer ist jedenfalls dieser Meinung. Böhmermanns Schmähgedicht gehe „auf Kosten unserer Beziehungen zur Türkei und schadet auch dem Verhältnis zu unseren türkischen Mitbürgern“, meint er. „Kulturell ist das zumindest fragwürdig.“
Jan Böhmermann muss sich nun möglicherweise auf ein Gerichtsverfahren einstellen. Vielleicht tröstet es ihn, dass er in jedem Fall als derjenige in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen wird, der den Majestätsbeleidigungsparagrafen 103 gekippt hat. Denn den soll der Bundestag ja nun streichen. Ähnliche Bestimmungen gibt es übrigens in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern. In den Niederlanden haben sich Politiker am Freitag sofort dafür ausgesprochen, das betreffende Gesetz umgehend aufzuheben.
Auf seiner Grundlage waren in den 1930er Jahren Geldstrafen für das Beleidigen des „befreundeten Staatsoberhauptes“ Adolf Hitler verhängt worden. In Großbritannien kann man auf dem Papier bis heute mit lebenslanger Haft dafür bestraft werden, sich für die Abschaffung der Monarchie einzusetzen. Das entsprechende Hochverratsgesetz ist allerdings seit 1879 nicht mehr angewendet worden.