Analyse: Weselsky vor Tarifeinheit fast am Ziel

Berlin/Frankfurt (dpa) - „Schlichten statt Streiken ist das Gebot der Stunde.“ Man merkt Bahn-Personalchef Ulrich Weber die Erleichterung an, dass der Lokführer-Streik unmittelbar vor Pfingsten doch noch abgeblasen wird.

Foto: dpa

Die Fahrgäste stehen zumindest als vorläufige Sieger fest, aber auch eine weitere Streikrunde der Lokführer scheint im Moment eher unwahrscheinlich.

Zwar sind die Vorschläge der beiden Schlichter, Brandenburgs Ex-Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), für die streitenden Parteien nicht bindend. Doch GDL-Chef Claus Weselsky ist sich sicher, bereits mit der Schlichtungsvereinbarung den „gordischen Knoten“ zerschlagen zu haben. Kurz vor Einführung des neuen Gesetzes zur Tarifeinheit bekommt die kleine Lokführergewerkschaft GDL eigenständige Tarifverträge für alle Mitglieder des Zugpersonals vom Lokführer bis zum Bordgastronom.

Der Zeitdruck auf Weselsky und seine GDL ist wegen des zum Juli angekündigten Tarifeinheitsgesetzes, das die Rechte kleinerer Gewerkschaften deutlich einschränken wird, erheblich. Es soll am Freitag im Bundestag beraten werden. „Die GDL braucht vor Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes einen gültigen Tarifvertrag für alle von ihr vertretenen Berufsgruppen. Dieser hätte dann auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Bestand“, sagt der Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck.

Tarifregelungen, die inhaltlich von denen der größeren Bahngewerkschaft EVG abweichen, sind vor allem im Konkurrenzkampf um Mitglieder von Bedeutung. „Weselsky will natürlich zeigen, dass er für seine Mitglieder etwas extra herausgeholt hat“, sagt Bispinck. Für die künftige Eigenständigkeit der GDL spielen die kleinen tariflichen Unterschiede aber wohl keine entscheidende Rolle. Entsprechende Bedenken auf der GDL-Seite soll der frühere Bundesarbeitsrichter Klaus Bepler in den Vorgesprächen zur Schlichtung ausgeräumt haben.

Die GDL gibt sich überzeugt, dass sie aus den drei, vielleicht vier Schlichtungswochen mit eigenständigen Tarifverträgen kommen wird. Geeignete Themen gibt es genug: Einkommenserhöhung, Arbeitszeit, Überstunden oder Schichtrhythmen - die GDL hat viel gefordert, was nun zu einem gesichtswahrenden Abschluss taugt. Weselsky baute am Donnerstag schon mal vor: „Wir haben eine sehr große Anzahl von Forderungen gestellt, die wir von Beginn an so eingeschätzt haben, dass wir sie nicht alle eins zu eins umsetzen. Die Kompromissbereitschaft ist gegeben.“

Fast noch wichtiger für die GDL ist es, die bisherige Konstruktion des Flächentarifvertrags zu erhalten. Dessen Grundzüge hat die Gewerkschaft in den vergangenen Jahren bei zahlreichen kleinen und mittleren Privatbahnen etabliert, so dass ein Ausstieg der Deutschen Bahn als mit Abstand größten Eisenbahnunternehmen aus diesem System ein Tiefschlag gewesen wäre.

Die konkurrierende und größere Bahngewerkschaft EVG hat längst klargemacht, dass sie innerhalb einer Berufsgruppe andere Arbeitszeiten oder höhere Gehälter für GDL-Mitglieder nicht akzeptiert. Mit einer Revisionsklausel will man sich die Möglichkeit des Nachverhandelns offenhalten, sagt Sprecher Uwe Reitz. „In allen wesentlichen Punkten darf es keine Unterschiede geben.“

Juristisch sind unterschiedliche Regeln in konkurrierenden Tarifverträgen kein Problem, sagt die Arbeitsrechtlerin und Wirtschaftsmediatorin Alexandra Henkel von der Kanzlei FPS. Für die Bahn könne damit aber erheblicher zusätzlicher Aufwand etwa in der Buchhaltung oder bei der Dienstplanung entstehen. Von daher seien freiwillige Leistungen zum Ausgleich der Tarifunterschiede denkbar. „Die Frage ist, wie viel kann und will sich die Bahn leisten?“

Für das Unternehmen DB AG bedeutet die Konstellation, dass sie bei der EVG später möglicherweise noch drauflegen muss, was sie der GDL zugesteht - die Forderungen schaukeln sich hoch, wie es der arbeitgebernahe Tarifexperte Hagen Lesch befürchtet.

Doch bereits die nächste Tarifrunde wird wohl unter den Bedingungen der neuen Tarifeinheit stattfinden, sofern sie als verfassungskonform bestätigt wird. Für die beiden Bahngewerkschaften gilt daher ab sofort der Kampf um jedes Mitglied. Schließlich wird künftig von Betrieb zu Betrieb genau gezählt, wer mehr Mitglieder hat. Und nur der Größere darf dann neue Tarifverträge aushandeln.