Analyse: Westen freut sich auf Aufträge aus Libyen
Paris (dpa) - Geschäftsinteressen im Ölland Libyen? Offiziell ist das auf der Pariser Libyenkonferenz ein Tabu. Gastgeber Nicolas Sarkozy weist entrüstet zurück, dass Frankreich mit seiner Führungsrolle in der Libyenkrise wirtschaftliche Hintergedanken gehabt haben könnte.
Man habe sich schließlich auch in Bosnien engagiert, wo es weder Öl noch Gas gebe, heißt es im Élyséepalast. Die libysche Rebellenhochburg Bengasi sollte kein zweites Srebrenica werden, hatte Sarkozy mehrfach in Anspielung auf das Massaker während des Bosnienkriegs 1995 gesagt.
Für den Wiederaufbau Libyens wird nun eine Menge Geld benötigt. Eine Geberkonferenz, auf der die Staatengemeinschaft um finanzielle Unterstützung gebeten wird, ist dennoch nicht nötig: Zahlen sollen am Ende Libyen und Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi selbst. Gaddafi, der noch immer auf der Flucht ist, habe während seiner gut vier Jahrzehnte dauernden Herrschaft wahre Reichtümer ins Ausland geschafft - mindestens 35 Milliarden Euro allein in den Ländern, mit denen Frankreich zusammenarbeite, schätzte ein Präsidentenberater in Paris.
Die Vereinten Nationen hatten entschieden, die libyschen Auslandsguthaben einzufrieren, um auf diese Weise den Druck auf Gaddafi zu erhöhen. Nun sollen die Mittel der Übergangsregierung zur Verfügung gestellt werden, damit diese den Wiederaufbau des Landes organisiert. Die Helfer Libyens können sich dabei freuen: Sie brauchen nicht in die eigene Tasche zu greifen und können zudem auf Aufträge für die heimische Wirtschaft hoffen.
Die Rebellen haben bereits angekündigt, Aufträge und Bohrlizenzen entsprechend dem Ausmaß der Hilfe während ihres Befreiungskampfes zu verteilen. „Libération“ veröffentlichte ein Schreiben, nach dem die Rebellen bereits im April 35 Prozent ihrer Ölförderung Frankreich versprachen - und zwar ausdrücklich „in Anerkennung der Unterstützung für den Übergangsrat“, den Frankreich sehr früh und ohne Absprache mit den Alliierten diplomatisch anerkannt hatte. Es dürfte reiner Zufall sein, dass Frankreichs Anteil am Militäreinsatz nach eigenen Angaben ebenfalls bei 35 Prozent lag.
Eine Bestätigung für die Echtheit des Abkommens gab es nicht. Frankreichs Außenminister Juppé betonte, dass er davon nichts wisse. Unbestritten ist aber, dass vor allem der französische Ölkonzern Total und der italienische Konzern Eni, die bisherige Nummer eins in Libyen, größtes Interesse daran haben, die Ölindustrie des Landes wieder in Gang kommen zu lassen.
Für die Freunde Libyens besteht ein gewisses Risiko, dass der Übergangsrat den hohen Erwartungen an ihn nicht gerecht werden könnte. Was passiert, wenn sich das Gremium zerstreitet und im Machtvakuum Verteilungskämpfe im Land ausbrechen? Wenn die Rebellen für ihren Anteil an der Befreiung eine unrealistisch hohe Belohnung einfordern? Wie sollen all die Waffen wieder eingesammelt werden, mit denen die Rebellen das Gaddafi-Regime vertrieben haben?
Auf politischer Ebene stehen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und - in geringerem Maße - der britische Regierungschef David Cameron nun als Gewinner dar. Der Sieg in Libyen dürfte Frankreichs zögerliche Unterstützung der Revolutionen in Tunesien und Ägypten in der öffentlichen Meinung überlagern. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird wohl versuchen, durch großzügiges Engagement beim Wiederaufbau die Nichtteilnahme am Militäreinsatz vergessen zu machen.