Analyse: Wie sich die Eurokrise Deutschland nähert

Berlin (dpa) - Die Verunsicherung ist groß, aber auf den zweiten Blick ist die negative Nachricht der US-Ratingagentur Moody's für Deutschland gar nicht schlecht.

Denn Moody's hat nichts anderes gemacht als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zuletzt im Juni im Bundestag: Sie hat davor gewarnt, dass starke Staaten wie Deutschland in der Euro-Krise durch immer höhere Kredite für Schuldenländer überfordert werden könnten. Bei Merkel hörte sich das so an: „Unsere Stärke ist nicht unendlich.“ Nur hören wollten es eben viele nicht.

Während Merkels Mahnung im Ringen um den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM noch verhallte, macht Moody's Drohung, Deutschland könnte sein Spitzenrating verlieren, Investoren und Bürgern nun Angst. Denn Moody's führt die Konsequenzen vor Augen: Wenn Griechenland und Spanien noch mehr Geld zur Sanierung ihres Landes beziehungsweise ihrer Banken brauchen, müssen die wirtschaftlich starken Staaten wie Deutschland, die Niederlande oder Luxemburg Geld dafür beschaffen.

Dadurch droht etwa dem ja ebenfalls hochverschuldeten Bundeshaushalt zusätzliche Belastung. Und das bedeutet, dass die deutsche - gegenwärtig mit der Bestnote „Aaa“ bewertete - Kreditwürdigkeit leiden könnte. Und deshalb senkte Moody's den Ausblick für die drei Länder von stabil auf negativ. Das ist die Vorstufe, eine Warnung, dass auch Deutschland das begehrte „Triple A“ verlieren könnte. Und das hieße, dass Deutschland für seine Kredite möglicherweise mehr Zinsen zahlen müsste.

Damit würde der Spielraum der Bundeskanzlerin kleiner und die Last des Steuerzahlers größer. Womit die Eurokrise im Herzen Deutschlands angekommen wäre. Im September entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob der ESM noch mit dem Budgetrecht des Bundestags vereinbar ist. Und der Druck auf die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen wächst. Den Unterstützern des ESM graut davor, im Bundestagwahljahr 2013 vielleicht sogar bald eine Billion Euro für die Rettung Europas verkünden zu müssen, während die Gemeinde den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht erfüllen kann.

Merkels Botschaften lauten: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ und „Europa wird stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingeraten ist.“ Sie verhehlt aber nicht, dass die Politik manches Mal im Dunkeln tappt, weil es für die Euro-Rettung kein Vorbild gibt.

Jeden Tag aufs Neue muss Merkel ihr Mantra gegen pessimistisch stimmende Einschätzungen von Experten, Politikern der eigenen Koalition und wohl auch Wählern verteidigen, die da wären: Griechenland steht trotz aller Milliarden vor der Pleite und muss vielleicht die Eurozone verlassen, Spanien muss womöglich ganz unter den Euro-Rettungsschirm EFSF, wenn Spanien fällt, folgt Italien und dann ist auch Frankreich in Gefahr. Dafür reicht der EFSF keinesfalls. Und die Zukunft des ESM ist noch ungewiss.

Merkel hat gerade ihren Urlaub angetreten. Ein Krisengespräch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe es am Dienstag nicht gegeben, verlautete aus Regierungskreisen. Die Kanzlerin habe sich informieren lassen - über etwas, was sie schon gewusst habe. Denn erstens sei der Negativ-Ausblick von Moody's zu erwarten gewesen und zweitens die Begründung nicht neu.

Das Schäuble-Ministerium monierte aber, Moody's habe die kurzfristigen Risiken in den Vordergrund gestellt und längerfristige Stabilisierungsaussichten unerwähnt gelassen. Außerdem sei das Vertrauen an den internationalen Finanzmärkten in Deutschland hoch. „Vielleicht sogar zu hoch“, mahnt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, im Deutschlandfunk. „Weil viele an den Finanzmärkten meinen, Deutschland könnte den Rest Europas retten.“

Merkel steht an diesem Mittwoch ein ganz anderes Drama bevor. Sie schaut sich Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele an. Dann wird die treue Senta wieder in den Tod gehen, um den Holländer zu retten. Das gefällt der sonst so nüchtern wirkenden Kanzlerin. Jedenfalls in der Oper.