Analyse: Wo ist Janukowitsch?
Kiew (dpa) - Im Kloster, auf einem russischen Kriegsschiff oder doch schon im Ausland - wo ist Viktor Janukowitsch? Seit der überhasteten Flucht des gestürzten Präsidenten aus Kiew brodelt die Gerüchteküche.
„Er ist in der Ukraine. Das weiß ich“, behauptet Janukowitschs Weggefährtin Anna German. Mehr will sie im Gespräch mit Journalisten aber nicht preisgeben: „Sie suchen nach ihm, nicht ich.“
Janukowitschs Spur verliert sich in Balaklawa, nahe der Stadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim. Dort liegt ein wichtiger Teil von Moskaus Marine vor Anker. „Janukowitsch ist weder auf Schiffen noch in einem anderen Objekt der russischen Schwarzmeerflotte“, zitiert die russische Staatsagentur Ria Nowosti einen Verantwortlichen.
Die neuen Machthaber lassen wegen „Massenmordes“ nach Janukowitsch fahnden. Am Dienstag beschließt das Parlament, den 63-Jährigen im Falle einer Festnahme an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überstellen.
Bilder aus Überwachungskameras seiner Luxusresidenz Meschigorje bei Kiew zeigen den hektischen Aufbruch in der Nacht zum Samstag: Zwei Hubschrauber stehen bereit. Mehrere Transporter fahren offenbar schnell zusammengeraffte Wertgegenstände zum Landeplatz. Schwere Limousinen rollen vor.
Wie hastig es zugegangen sein muss, zeigen Fotos von einem abgebrochenen Abendessen, angebrochene Wein- und Cognacflaschen stehen auf dem Tisch. Auch eine Brille hat „Witja“, wie ihn das Volk halb spöttisch nennt, liegengelassen.
Nun kommt das Privatleben des geschassten Staatschefs unter die Lupe. Im Internetprojekt „YanukovychLeaks“ veröffentlichen Aktivisten Dokumente, die der bullige Zwei-Meter-Mann offenbar vernichten lassen wollte - sie wurden aus einem See seiner Residenz gefischt. Mit Empörung nehmen die Ukrainer die Details auf. So ließ Janukowitsch als eine der ersten Maßnahmen nach seiner Wahl zum Präsidenten 2010 einen Kronleuchter anschaffen. Kostenpunkt: acht Millionen Euro.
Korruption und Vetternwirtschaft lauteten stets Vorwürfe gegen Janukowitsch. Hunderte Millionen Euro soll er beiseitegeschafft haben. Auch seine Söhne Viktor und Alexander sind dank den Kontakten ihres Vaters in Großindustriellenkreisen zu unerhörtem Reichtum gekommen. Nun fehlt von ihnen jede Spur. Auch Janukowitschs Ehefrau, von der er getrennt lebte, ist verschwunden.
Wie vom Erdboden verschluckt ist auch seine angebliche Geliebte. Fotos legen nahe, dass der geflohene Präsident mit einer 39-Jährigen und deren zwölfjähriger Tochter aus erster Ehe zusammenlebte. Bei der Freundin handele es sich um die Besitzerin eines Schönheitssalons in nobler Kiewer Lage, haben örtliche Medien recherchiert. Sie ist die Schwester von Janukowitschs Leibköchin aus seinem Heimatort Jenakijewo.
Janukowitsch selbst wird aber weiter im Land vermutet. Berichte, er sei längst im Moskauer Exil untergetaucht, halten Experten für Ablenkungspolitik. Auch das Gerücht, Janukowitsch verstecke sich im Kloster des Heiligen Nikolai in Wolnowacha, im Gebiet Donezk, in einem drei Stockwerke tiefen Bunker, ist bereits dementiert.
Der kommissarische Innenminister Arsen Awakow hat ein erstaunlich detailliertes Minutenprotokoll der Flucht vorgelegt. Demnach ist der russlandtreue Janukowitsch per Hubschrauber erst nach Charkow geflogen, dann nach Donezk - Hochburgen seiner Macht. Schließlich ging es mit drei Geländewagen auf die Krim.
Der Staatschef, so hat es den Anschein, kann nur noch auf wenige Getreue zählen. Sein enger Mitarbeiter Andrej Kljujew, zuletzt Chef des Präsidialamts, soll bei ihm sein. Zudem noch Bodyguards, alle bewaffnet. Es gibt Gerüchte, dass die Leibgarde sich bei einem Festnahmeversuch den Weg freigeschossen haben soll. „Alle Kommunikationsmittel sind abgebrochen“, betont Awakow.