Wo steckt der gestürzte Präsident?
Kiew (dpa) - Im Kloster, auf einem russischen Kriegsschiff oder doch schon im Ausland - wo ist Viktor Janukowitsch? Seit der überhasteten Flucht des gestürzten Präsidenten brodelt die notorisch heiße Gerüchteküche in der Ukraine stärker denn je.
Der neue noch kommissarische Innenminister Arsen Awakow, der den 63-Jährigen wegen „Massenmordes“ zur Fahndung ausschreibt, legt ein erstaunlich detailliertes Minutenprotokoll vor. Demnach ist der russlandtreue Janukowitsch per Hubschrauber erst nach Charkow geflogen, dann nach Donezk - Hochburgen seiner Macht. Schließlich ging es im Auto auf die ebenfalls prorussische Halbinsel Krim.
Der Staatschef, so hat es den Anschein, kann nur noch auf wenige Getreue zählen. Sein enger Mitarbeiter Andrej Kljujew, zuletzt Chef des Präsidialamts, soll bei ihm sein. Zudem noch Bodyguards, alle bewaffnet. Von der Krim gibt es Gerüchte, dass die Leibgarde sich bei einem Festnahmeversuch den Weg freigeschossen haben soll.
„Wir müssen Janukowitsch und den ganzen Abschaum um ihn herum auf den Maidan bringen“, hat seine Erzfeindin Julia Timoschenko nach ihrer Entlassung aus der Haft auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew gefordert. Dort sind sie immer wieder zu hören, die Forderungen, den verhassten Janukowitsch vor ein Volkstribunal zu stellen. Ihn persönlich machen die Demonstranten für den Tod Dutzender Protestierer verantwortlich.
Bilder aus Überwachungskameras seiner Luxusresidenz Meschigorje zeigen den hektischen Aufbruch in der Nacht zum Samstag: Zwei Hubschrauber stehen bereit. Mehrere Transporter fahren offenbar schnell zusammengeraffte Wertgegenstände zum Landeplatz. Schwere Limousinen rollen vor. Wie hastig es zugegangen sein muss, zeigen Fotos von einem abgebrochenen Abendessen, angebrochene Wein- und Cognacflaschen stehen auf dem Tisch. Auch seine Brille hat „Witja“, wie ihn das Volk halb spöttisch nennt, liegengelassen.
Journalisten, die das Anwesen auf den Kopf stellen, finden Fotos einer angeblichen Geliebten: gut 20 Jahre jünger, eine Schwester seiner Leibköchin aus dem Heimatort Jenakijewo. Mit ihrer Tochter aus erster Ehe soll die blonde Frau auf dem feudalen Gut gelebt haben.
Nun ist auch sie wie vom Erdboden verschluckt. Das Haus von Ehefrau Ljudmila im ostukrainischen Donezk ist verlassen. Kein Lebenszeichen auch von den Söhnen Alexander und Viktor, die offenkundig dank ihres Vaters und seiner guten Verbindungen in Großindustriellenkreisen zu unerhörtem Reichtum gekommen sind. Korruption und Vetternwirtschaft lauteten stets Vorwürfe gegen Janukowitsch. Er selbst soll Hunderte Millionen Euro beiseite geschafft haben.
„Janukowitsch ist weder auf Schiffen noch in anderen Objekten der russischen Schwarzmeerflotte“, zitierte die russische Staatsagentur Ria Nowosti einen Angehörigen der Marine im Krimhafen Sewastopol. Dort hat Moskau Teile seiner Marine vor Anker.
Nächstes Gerücht: Janukowitsch verstecke sich im Kloster des Heiligen Nikolai in Wolnowacha, im Gebiet Donezk. Dort gibt es angeblich einen Bunker, drei Stockwerke tief. Die Mönche scheinen dem Abgesetzten wohlgesinnt. Auf der Internetseite des Klosters wird die berüchtigte Polizeieinheit Berkut, die brutal auf Demonstranten einprügelte, mit der sowjetischen Armee als Kämpfer gegen den Faschismus gleichgesetzt. Aber der Klostervorsteher sagt: Nein, bei uns ist Janukowitsch nicht.
Gesichert ist nur, glaubt man dem kommissarischen Innenminister Awakow, dass der vom Parlament abgewählte Präsident zuletzt in Balaklawa bei Sewastopol gesehen wurde. Dort entbindet er seine Leibwächter von ihrem Eid, einige suchen daraufhin das Weite. Mit den Verbliebenen braust Janukowitsch schließlich in drei Geländewagen davon. „Alle Kommunikationsmittel sind abgebrochen“, schreibt Awakow.