Blumen, Wut und Tränen Angriff auf Barcelonas pulsierendes Herz

Barcelona (dpa) - Plaça de Catalunya, 12 Uhr mittags, es ist der Tag nach dem Terror. Tausende Menschen, die meisten in schwarzer Trauerkleidung, versammeln sich auf dem beliebten Platz mitten in Barcelona.

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Dann kehrt Stille ein.

Ein tief bewegter König Felipe schließt die Augen, eine Minute lang schweigt das sonst pulsierende Herz der katalanischen Metropole. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffenen, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlang applaudieren die Bürger frenetisch im Gedenken an die Opfer. Ein Chor auf Katalanisch brandet auf: „No temim por“ - Wir haben keine Angst!

Die Bürger zeigen: Sie wollen sich vom islamistischen Terror nicht unterkriegen lassen. Wo der Attentäter mit seinem Lieferwagen am Donnerstag eine blutige Spur des Todes hinterlassen hatte, legen die Menschen Blumen nieder, zünden Kerzen an, legen Schilder mit der Botschaft nieder: „Barcelona ist eine friedliche Stadt.“ Bereits am Morgen war die Flaniermeile „Las Ramblas“ wieder voller Menschen. Dennoch wird der Anschlag mit mehr als einem Dutzend Toten und über 100 Verletzten für lange Zeit Spuren hinterlassen.

Denn das sonnige Spanien, und speziell das mediterrane Barcelona, waren für Millionen Touristen aus dem eher verregneten Norden Europas bislang eines der verlockendsten und vor allem sichersten Urlaubsziele des Kontinents. Schönes Wetter, Superstrände, keine politischen Unruhen, und der letzte große Terroranschlag - damals auf den Madrider Bahnhof Atocha - lag schon mehr als 13 Jahre zurück.

Aber seit Donnerstag, 16.50 Uhr, ist es mit dem Sicherheitsgefühl vorbei. Ein Attentäter raste von der Plaça de Catalunya aus in die Fußgängerzone und überrollte auf 600 Metern alles, was ihm in den Weg kam. Die Behörden teilten später unmissverständlich mit: „Sein Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu überfahren.“

Binnen Sekunden hatte sich die mit Platanen bestandene Prachtmeile mit ihren mondänen Geschäften und schattigen Straßencafés in einen Ort des Grauens verwandelt. Passanten wurden von der Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert, Tote und Verletzte lagen auf dem Boden und Menschen liefen schreiend um ihr Leben, Bruchteile von Sekunden entschieden über Tod oder Leben. „Da lagen Menschen auf dem Pflaster, blutüberströmt, ich weiß nicht, ob sie noch lebten“, erzählt eine junge Deutsche. Der Schock ist ihr ins Gesicht geschrieben, der Ausdruck starr und ungläubig.

Nur wenige Stunden später werden in der Stadt Cambrils rund 100 Kilometer südwestlich von Barcelona fünf mutmaßliche Terroristen von der Polizei erschossen. Sie tragen Attrappen von Sprengstoffgürteln und agieren genauso skrupellos wie der Attentäter von „Las Ramblas“: Auf ihrer Flucht überfahren die Extremisten mehrere Passanten, eine Frau stirbt am Freitag an den Folgen ihrer schweren Verletzungen.

In Cambril sind die Menschen ebenso ratlos und schockiert wie in Barcelona. „Wie kann man so viel Hass in seinem Kopf haben, dass man Kinder überfährt, wofür wollte er sich denn rächen?“, fragt Lorenzo und hebt hilflos die Arme. „Was immer dem Typen in seinem Leben widerfahren sein mag, so eine Tat ist einfach nicht zu verstehen.“ Mit seiner Frau musste er stundenlang warten, bevor er wieder in seine Wohnung direkt an „Las Ramblas“ gehen durfte.

Am Freitag scheint klar: Bei dem Fahrer handelte es sich wahrscheinlich um einen erst 17-Jährigen mit Wohnsitz im 100 Kilometer nördlich gelegenen Ripoll, der mit dem Pass seines älteren Bruders den Transporter angemietet hatte. Alle Attentäter sollen einer einzigen islamistischen Zelle angehört haben.

„Trotz des Schmerzes, der Wut und der Machtlosigkeit müssen wir uns bemühen, die für die Kultur Europas und Barcelonas typischen Werte von Offenheit und Integration zu erhalten“, forderte die katalanische Zeitung „La Vanguardia“ am Freitag. „Katalonien war schon immer ein Land des Friedens und des Willkommens, und nichts sollte das verändern.“

Aber die Anschläge werden etwas verändern. Denn so friedlich und fröhlich Barcelona auch bisher zu sein schien, Terrorexperten wissen schon lange, dass die Stadt eine Brutstätte für radikale Salafisten ist - ebenso wie Madrid und die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla, wie die Zeitung „El Mundo“ in einem Kommentar schrieb. Katalonien sei dabei die Region, die in Spanien die meisten islamistischen Fundamentalisten hervorbringe - und die die engsten Verbindungen zu anderen extremistischen Gruppen in Europa habe.

„Zusammen mit Frankreich und Großbritannien ist Spanien das Land, in dem die meisten Extremisten rekrutiert werden“, so das Blatt. „Zudem gilt das Land als Rückzugsort für Salafisten, die aus den Kriegen in Syrien und dem Irak zurückkehren.“

Diese traurige Realität wird nun vermutlich auch in den Köpfen traditioneller Spanienurlauber ankommen. Gerade erst hatten linke Gruppen gegen die Auswirkungen des Massentourismus in der Metropole protestiert. Die architektonischen Meisterwerke von Antoni Gaudí - von der Sagrada Familia über die Casa Battló bis zum Park Güell -, die „Ramblas“, der Badestrand im Viertel La Barceloneta - die vielen Sehenswürdigkeiten und die kosmopolitische Atmosphäre hatten seit Jahren immer mehr Besucher angelockt. Zu viele, wie entnervte Bürger meinten. Jetzt hat sich ein anderes Bild in die Köpfe eingebrannt, ein Bild von Blut und Tränen. Die Frage ist, wie schnell das Herz der vibrierenden Metropole wieder zu schlagen beginnt - und wer siegen wird: Die Angst oder die Lebensfreude.