Imam wird als Held gefeiert Anschlag auf Muslime „Attacke auf alle Londoner“

London (dpa) - Zwanzig Minuten nach Mitternacht gehen bei der Londoner Polizei die ersten Notrufe ein. Ein Lieferwagen ist in der Nacht zum Montag in eine Menschengruppe in der Nähe einer Moschee gerast.

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Blut, Schreie, reglose Körper in der dunklen Nacht.

Gläubige eilen herbei und halten den Fahrer in Schach, bis die Polizei eintrifft. „Ich habe meinen Teil getan“, soll der Täter ihnen zugerufen haben - und: „Ich will Muslime töten.“

Ist es Terror oder die Tat eines geistig Verwirrten? Der 48 Jahre alte Fahrer ist ein Weißer. Er wird unter Verdacht auf versuchten Mord festgenommen. Als „Vorsichtsmaßnahme“ wird er zunächst in ein Krankenhaus gebracht und dort auch auf seine psychische Gesundheit untersucht.

Es habe sich „ganz klar“ um eine „Attacke auf Muslime“ gehandelt, sagt die Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick am Nachmittag. Und: „Wir nehmen jede Art von Hasskriminalität sehr ernst.“ Schon zuvor hatte sie angekündigt, zusätzliche Beamte einsetzen zu wollen - auch in der Nähe von muslimischen Einrichtungen.

Premierministerin Theresa May verurteilt Extremismus jeder Art. „Hass und Böses dieser Art werden niemals Erfolg haben“, sagt sie und verurteilt die Attacke als „widerlich“. Das Land werde sich durch die Tat nicht spalten lassen. Am Mittag trifft sie Vertreter verschiedener Religionsgruppen.

Ein Imam wird als Held gefeiert. Mohammed Mahmoud soll sich Augenzeugenberichten zufolge schützend vor den mutmaßlichen Täter gestellt haben, der aus dem Lieferwagen gezerrt worden war. „Fasst ihn nicht an“, habe er demnach Menschen entgegengerufen, die sich wütend auf den Mann gestürzt hatten. Der 48-Jährige war von dem Imam und anderen Umstehenden festgehalten worden. Sie übergaben ihn später der Polizei.

Hassan Hammoud aus Tunesien hat den Fahrer gesehen. „Ich war wegen des Fastenbrechens in einem Restaurant um die Ecke, als ich die Sirenen hörte“, schildert der 20-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. „Er wirkte ganz normal, nicht psychisch krank.“

Abdul Abdulahi (18) zittern immer noch die Knie. „Es lagen Menschen auf dem Boden, alte Menschen, Kinder. Es war schockierend.“ Als die Polizei kam, habe der Täter Luftküsse verteilt, erzählt Abdulahi der dpa. „Dieser Mann wusste ganz genau, was er tut. Er wusste, wann die Betenden aus der Moschee kommen“, vermutet er. Zwei Stunden vorher oder nachher, so der 18-Jährige, „wäre niemand hier gewesen“.

Die Bilanz der blutigen Fahrt: zehn Verletzte, ein Mensch stirbt. Ob die Attacke mit dem Lieferwagen für den Tod des Mannes verantwortlich ist, bleibt allerdings zunächst unklar. Nach Angaben der Polizei wird der Mann bereits von Ersthelfern unterstützt, als der Minivan in die Menschenmenge fährt.

Der Rat der Muslime in Großbritannien spricht von einem zunehmenden Islamhass im Land. Die Tat der vergangen Nacht ist die „brutalste Manifestation“ dieses Hasses, schreiben die Vertreter der Muslime auf Twitter.

Mohammed Kozbar, der Vorsitzende einer nahegelegenen Moschee im nördlichen London, sagt der Boulevard-Zeitung „The Sun“: „Wer immer das getan hat, wollte Menschen verletzen. Das ist eine Terrorattacke.“

So behandelt auch die Polizei den Fall. Aber sie will die Gemüter beruhigen, keine Gräben entstehen lassen. „Das war eine Attacke auf London und alle Londoner“, betont Neil Basu von Scotland Yard.

„London hat ein paar furchtbare Wochen hinter sich“, sagt Bürgermeister Sadiq Khan, selbst ein Muslim. Er ist aber auch sicher: „Wir werden uns vom Terrorismus nicht einschüchtern lassen.“

Drei Terroranschläge hat es in den vergangenen Monaten schon in Großbritannien gegeben: zwei in London und einen in Manchester. Bei den beiden Attacken in der britischen Hauptstadt spielten wie jetzt auch geliehene Fahrzeuge als Waffen eine Rolle.

So viele Anschläge binnen kurzer Zeit machen die sonst gelassenen Briten nervös. Kein Wunder, dass auch beim katastrophalen Hochhausbrand in der vergangenen Woche in London schnell die Frage aufkam, ob es sich um einen Anschlag handeln könnte. Scotland Yards klare Antwort: Nein.