Zum Tod des Altkanzlers Die beklemmende Geschichte der Familie Kohl

Berlin. Walter Kohl erfuhr aus dem Radio vom Tod seines Vaters. Jahrelang hatte er keinen Kontakt zu dem Mann, der international als „großer Staatsmann“ und „großer Europäer“ gewürdigt wird.

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Für Walter Kohl war der Vater Helmut nicht der Held der Wiedervereinigung, nicht der Wegbereiter der Europäischen Union, sondern eine Enttäuschung - einer, der nicht da war, der sich nicht kümmerte, der den Kontakt abbrach. Im Sommer 2011 habe er das letzte Mal mit seinem Vater telefoniert, danach habe er ihn nicht mehr besuchen dürfen, erzählt Walter Kohl. Erst jetzt betritt er sein Elternhaus wieder. Erst jetzt, wo es den Vater nicht mehr gibt.

Als der 53-Jährige am Freitagabend in Ludwigshafen-Oggersheim ankommt, muss er erst länger mit der Polizei diskutieren, bis er zu dem Haus durchkommt. Walter Kohl beklagt sich, es sei schlimm, wenn ein Kind nicht zu seinem toten Vater dürfe. Die Tür zum Hause Kohl öffnet schließlich der frühere „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, ein langjähriger Vertrauter von Helmut Kohl.

Als Walter Kohl später wieder aus dem Haus kommt, wirkt er aufgewühlt, auf leise Art. Den vielen Mikrofonen vor der Tür weicht er nicht aus, sondern lässt die Öffentlichkeit teilhaben an beklemmenden Details aus dem Innersten der Familie Kohl, einmal mehr.

„Sie sehen einen Menschen, der eben sehr traurig ist“, sagt Walter Kohl da. „Mein Vater hat ja allen Kontakt abgebrochen zu vielen Menschen in seinem Umfeld.“ Das gelte für ihn und seinen jüngeren Bruder Peter. Aber auch seine Enkel habe Helmut Kohl nicht sehen wollen. Die Kinder hätten sehr darunter gelitten, „dass ihr Großvater für sie nicht erreichbar war“.

Helmut Kohl - Ein Leben in Bildern
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Wie sehr er selbst als Kind gelitten hat, darüber hat Walter Kohl schon viel Auskunft geben, unter anderem in einem Buch mit dem Titel „Leben oder gelebt werden“. Darin seziert er schonungslos das Leben im Hause Kohl, erzählt von Kälte und Distanz. Er beschreibt den Vater als einen, der alles für die Politik gab und für den die Familie nicht mehr war als Teil des politischen Bühnenbildes. Und: Walter Kohl schildert, wie er vom Tod seiner Mutter Hannelore erfuhr. Ein Anruf, die Worte: „Walter, deine Mutter ist tot.“ Die Stimme am Telefon gehörte nicht seinem Vater, sondern dessen Büroleiterin.

2001 war das. Hannelore Kohl nahm sich damals das Leben. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten, daheim in Oggersheim, während Helmut Kohl in Berlin war. Jahrelang war sie krank, litt unter einer Lichtallergie, musste im Dunkeln leben. 41 Jahre lang war sie mit Helmut Kohl verheiratet. Und auch von ihr gibt es eine Biografie, die einiges Düstere aus dem ihrem frühen Leben und dem späteren als Kanzlergattin offenbart - und manche Spannung mit ihrem Mann.

Sieben Jahre nach dem Tod von Hannelore heiratete Helmut Kohl wieder: Maike Richter. Eine Volkswirtin, die später als Redenschreiberin im Kanzleramt arbeitete und Kohl dort in den 90er Jahren kennenlernte. Die beiden gaben sich 2008 das Ja-Wort - in der Kapelle eines Reha-Zentrums. Helmut Kohl war vorher schwer gestürzt und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Seitdem saß er im Rollstuhl und konnte nur noch schwer sprechen.

Der neuen Frau an seiner Seite wurde von vielen Seiten vorgeworfen, sie habe immer schon an den 34 Jahre älteren Kohl herankommen wollen, habe ihn systematisch abgeschottet, alle Fäden selbst in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass er alte Bünde kappt - zu seinen Söhnen, zu alten Vertrauten wie seinem Fahrer „Ecki“ Seeber.

Auch Seeber versucht an Kohls Todestag zu seinem alten Chef durchzukommen, um sich zu verabschieden. Erfolglos. Man habe ihn mit der Begründung abgewiesen, die Bestatter seien gerade bei Kohl, erzählt Seeber danach der „Bild am Sonntag“. Es noch mal versuchen will er nicht. „Für mich ist das Kapitel damit abgeschlossen.“

Auch Kohls Söhne Walter und Peter hatten in den vergangenen Jahren kaum noch Zugang zu ihrem Vater. Von der zweiten Hochzeit mit Maike Richter erfuhren sie damals nur durch ein Telegramm, die Details aus der „Bild“-Zeitung. Walter Kohl arbeitet heute als „Redner, Autor, Begleiter und Coach“, wie er es selbst nennt. Er schrieb nach seinem ersten Buch noch zwei weitere. Und Peter Kohl verfasste als Co-Autor eine Biografie über seine Mutter Hannelore.

Draußen vor dem Haus in Oggersheim, am Todestag seines Vaters, sagt Walter Kohl noch, er wolle zu früheren Zeiten in diesem Moment nicht viel sagen. Er könne nur seiner Trauer Ausdruck verleihen, dass sein Vater jetzt gestorben sei „und dass das alles in dieser Weise passiert ist“. Und dann diese tieftraurigen Sätze, ernüchtert, resigniert: „Ich finde es schade, wenn man nicht in der Lage ist, die Dinge in diesem Leben zu regeln. Ich habe das versucht, über verschiedene Kanäle, ohne großes Glück“, sagt Walter Kohl. „Und jetzt ist es so, wie es ist.“ (dpa)