Sechs Monate im All „Astro-Alex“ Gerst verlässt Planet Erde

Baikonur (dpa) - Zum Abschied bleibt von Alexander Gerst ein Feuerschweif als Gruß am Firmament. Rasch verdichtet er sich zu einem kleiner werdenden Punkt am Himmel über der kasachischen Steppe.

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Nach zweieinhalb Jahren anstrengendem Training ist Deutschlands populärster Astronaut zur Internationalen Raumstation (ISS) gestartet. Mit einer Sojus-Rakete hob „Astro-Alex“ am Mittwoch vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur ab.

Zuvor genoss er noch einmal Alltägliches: „Eben aufgestanden und zum letzten Mal in 6 Monaten geduscht“, twittert er zunächst, später dann „Ziehen unsere Raumanzüge an und testen sie auf Lecks. Zum letzten Mal Schuhe tragen für 6 Monate... ;)“. Vor vier Jahren war „Astro-Alex“ schon einmal auf der ISS, als Bordingenieur. „Es ist einfacher, wenn man zum zweiten Mal fliegt, denn man hat die großen Unbekannten nicht“, sagt er. Man frage sich nicht mehr, wie das Leben da oben eigentlich ist.

Die Sonne brennt an diesem Junitag, schon am Vormittag ist es heiß, später allerdings ziehen dichte Wolken auf. Wer Glück hat, sieht auf dem Weg zum Startkomplex ein Kamel am Straßenrand dösen - so auch Gerst: „Beobachten desinteressierte Kamele am Wegesrand“, twittert er am Morgen wenige Stunden vor dem Start. Und: „Stimmung in der Crew ist super“. Beim Verlassen des Kosmonautenhotels strahlt „Astro-Alex“ und winkt in seinem blauen Overall in die Menge. Sehr glücklich wirkt er, nun, da es endlich wirklich losgeht.

Seine zweite Reise zu den Sternen beginnt an der historischen Startrampe 1, von der aus Juri Gagarin 1961 als erster Mensch den Kosmos erkundete. Viel Lärm, Feuer und Rauch, dann befördert die Sojus-Rakete die Crew mit 26 Millionen PS ins All. Schon nach neun Minuten ist das Raumschiff im Weltraum - fast 28 000 Kilometer pro Stunden schnell.

Aus gut zwei Kilometern Entfernung blicken die Familien der Raumfahrer, die Branchenprominenz und die Weltpresse auf die Rampe. Bei Esa-Chef Jan Wörner brechen sich vor dem Start die Emotionen Bahn. „Alex, weißt du, du könntest mein Sohn sein“, habe er Gerst am Dienstag noch gesagt. „Da war die Situation, dass ich sagte: „Junge, pass auf dich auf““, sagt Wörner der Deutschen Presse-Agentur.

Auch Gersts engste Freunde und Verwandte haben die weite Reise angetreten, um ihren „Forscher und Entdecker“ zu begleiten. „Auf seinem Weg, der längst nicht abgeschlossen ist, haben wir ihn immer unterstützt“, teilt die Familie über die europäische Raumfahrtagentur Esa mit. „Wir freuen uns sehr, ihn nun zum zweiten Mal ins All fliegen zu sehen, und wünschen ihm das Allerbeste.“

Ein besonderer Gast beim Start ist Deutschlands Weltraumpionier Sigmund Jähn. Gerst hat den 81-jährigen „guten Freund“ selbst eingeladen. „Er ist aus meiner Sicht einer der fähigsten Leute, die wir hatten“, sagt Jähn über „Astro-Alex“. Im August 1978 flog der DDR-Bürger mit einer Sojus zur Raumstation Saljut-6 - und wurde so zum ersten Deutschen im All. Gerst ist der elfte Deutsche, der zu den Sternen aufbricht, eine Frau gehört nicht dazu.

In den 40 Jahren seit Jähns Mission hat sich viel geändert in der Branche. Die Technik ist automatisierter, digitaler, ausgereifter. Der Veteran Jähn sagt auch: „Die Leute werden immer klüger. Der Alexander Gerst ist ja ein treffendes Beispiel. Ein äußerst fähiger junger Mann, ein gestandener Wissenschaftler.“

Bis Freitag ist Gerst mit dem Russen Sergej Prokopjew und der US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor im engen Raumschiff „Sojus MS-09“ unterwegs zur ISS. 34 Mal wird die Crew die Erde umrunden, bis sie am Raumlabor andockt. Ein gutes halbes Jahr soll der 42-jährige Baden-Württemberger auf dem Außenposten der Menschheit rund 400 Kilometer über der Erde leben, experimentieren und - als erster Deutscher überhaupt - im Herbst auch das Kommando übernehmen.

Als Wissenschaftler erwartet den promovierten Geophysiker Gerst auf der ISS ein strammes Programm. Für rund 300 Experimente soll das halbe Jahr im All etwa reichen. 41 Forschungsprojekte steuert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bei. Gerst soll in der Schwerelosigkeit unter anderem an Künstlicher Intelligenz und an den Eigenschaften planetarer Magnetfelder forschen.

Der Zeitplan ist eng getaktet. „Wenn Alex Commander ist, hat er weniger Zeit, weil er noch andere Aufgaben wahrnehmen muss“, sagt Volker Schmid vom DLR. Als Kommandant ist Gerst vor allem für die Sicherheit der Crew im Notfall verantwortlich. Dafür muss er den Zustand der Station im Blick behalten. Schmid will deshalb als Leiter von Gersts Mission „Horizons“ so viele Aufgaben wie möglich umsetzen, bevor der Astronaut im Herbst auf der ISS das Ruder übernimmt.

Aufgeregt wirkt Gerst wegen alldem ganz und gar nicht. Vielmehr zeigt er sich beim Abschied in Baikonur besonnen wie eh und je. „Raumfahrt ist niemals Routine“, sagt er. Es gelte immer und immer wieder, mit größtem Respekt vor der Technik zu handeln.

An Gersts Qualifikation zweifelt auch Ex-Astronaut Thomas Reiter nicht. Wenn der ranghohe Esa-Funktionär von Gersts Mission erzählt, freut er sich selbst ein bisschen wie ein Schuljunge auf eine Mondlandung. „Alex ist jemand, der unheimlich gut die Eindrücke, die er dort oben hat, mit anderen teilen kann“, sagt der 60-Jährige. Das habe Gerst schon bei seiner ersten Mission 2014 gezeigt. „Er hat alle, und ich meine auch Kollegen wie mich, die das selbst schon erlebt haben, wirklich mit an Bord genommen.“