Atomkatastrophe löst Kursstürze an Börsen aus

Frankfurt/Mannheim (dpa) - Die Panik vor den Folgen eines atomaren Super-GAUs in Japan hat die Börsen am Dienstag weltweit einbrechen lassen. Selbst in der zuletzt so zuversichtlichen deutschen Wirtschaft hat sich die Stimmung durch das schwere Erdbeben und die atomare Katastrophe deutlich eingetrübt.

Das berichtete das Zentrum für Europäische Wirtschaftsförderung (ZEW) in Mannheim bei der Präsentation seiner monatlichen Konjunkturumfrage.

„Die deutsche Wirtschaft befindet sich an sich in einer robusten Verfassung. Allerdings könnten die tragischen Ereignisse in Japan zumindest kurzfristig eine Eintrübung der Konjunkturdynamik in Deutschland zur Folge haben“, kommentierte ZEW-Präsident Wolfgang Franz die Entwicklung.

Während Japans Energieversorger ihre Stromsperren nach den massiven Reaktorausfällen am Dienstag ausweiteten, wurden in Deutschland erste Atomkraftwerke vom Netz genommen. Das dürfte den Druck auf die Strompreise erhöhen, rechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor. Das könnte auch die Stimmung der Verbraucher und Unternehmer weiter drücken.

Noch rechnen Experten aber nicht damit, dass das Atomunglück im Land der aufgehenden Sonne die Welt in eine neue Krise stürzen könnte. „Es ist unwahrscheinlich, dass der Schock für die japanische Wirtschaft stark genug ist, die Weltwirtschaft in die Rezession zu treiben“, schrieb Citigroup-Analyst Jonathan Stubbs am Dienstag.

Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) erklärte, die Naturkatastrophe werde die deutsche Konjunktur kaum beeinflussen. Für den Fall einer nuklearen Katastrophe im Großraum Tokio lasse sich aber keine Vorhersage treffen.

Das volle Ausmaß der Katastrophe lässt sich noch nicht abschätzen - und damit auch nicht seine wirtschaftlichen Auswirkungen, sagte Commerzbank-Analystin Ulrike Rondorf. Die Erholung der deutschen Wirtschaft sei bisher zwar nicht in Gefahr, die Risiken hätten aber zugenommen. Die Bank rechne für Deutschland 2011 aber weiter mit einem Wachstum von 3,0 Prozent.

Skeptischer äußerte sich Außenhandelspräsident Anton Börner. „Wenn es zu mehr Produktionsstopps in Japan kommt, dann wird es einen starken Wachstumsdämpfer in China und der Region geben“, sagte Börner: „Die Weltwirtschaft wird nicht ungeschoren davon kommen.“

Hingegen sind die Auswirkungen der Katastrophe auf die deutsche Wirtschaft nach Ansicht von Ulrich Blum noch längst nicht ausgemacht: „Das kann in die eine und kann in die andere Richtung gehen“, sagte der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Er schloss nicht aus, dass der Wiederaufbau in Japan Deutschlands Konjunktur beflügeln könnte, wenn das Land in großen Mengen neue Anlagen kaufen müsse. Zudem seien Umwelttechnik und -technologien zur Behebung der Schäden wichtig.

Deutsche Bauunternehmen rechnen sich jedoch wenig Chancen aus, von dem Wiederaufbau zu profitieren. „Japan hat eine sehr starke eigene Bauindustrie“, sagte Heiko Stiepelmann, Sprecher des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Der japanische Baumarkt sei abgeschottet.

Die Börsen reagierten am Dienstag geradezu panisch auf die Entwicklungen in Fernost. In Tokio rutschte der Nikkei-225-Index um mehr als 10 Prozent ab, der Dax in Frankfurt verlor nach immer neuen Hiobsbotschaften vom Atomkraftwerk Fukushima Eins in der Spitze mehr als 5 Prozent. Marktstratege David Buik von BG Partners sprach von einem „Anfall unkontrollierter Angst“ unter Anlegern.

Besonders tief stürzten Energieversorger ab. Auch andere Unternehmen mit derzeit lahmgelegten Standorten in Japan verloren deutlich. So rutschte Daimler kräftig ab, weil der Stuttgarter Konzern 15 bis 20 Prozent seiner Lastwagen in Japan baut, wie Analysten des japanischen Bankhauses Nomura betonten.

Stratege Mikio Kumada von LGT Capital betonte aber, dass verlässliche Prognosen angesichts der ungeklärten Situation in den Kraftwerken schwer fielen. Nach derzeitiger Einschätzung sollten die Auswirkungen auf die Finanzmärkte jedoch eher kurzfristiger Natur sein, sagte er: „Zu diesem Schluss kommt, wer die Börsenentwicklung nach vergangenen Naturkatastrophen analysiert.“

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wagt noch keine Prognose zu möglichen Folgen für die Konjunktur abgegeben. Die Zerstörungen durch das Beben und den verheerenden Tsunami seien so groß, dass eine Einschätzung der Auswirkungen auf die Wirtschaft derzeit noch nicht möglich sei, hieß es am Sitz der Organisation in Paris. Zu erwarten sei, dass Katastrophen derartigen Ausmaßes das Wirtschaftswachstum eines Landes verringerten.

In Deutschland hatte die Stimmung zuletzt bereits unter steigenden Rohölpreisen infolge der Unruhen im Nahen und Mittleren Osten gelitten. Jetzt lässt die Japankrise die Ölpreise purzeln. Die Commerzbank sieht den Hauptgrund dafür in der geringeren Nachfrage der drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt.

Die Entwarnung an der Öl-Preisfront wird aber nur vorrübergehend sein, warnte Börner. Mittelfristig verschärfe die Naturkatastrophe die Situation an den Rohstoffmärkten. Die Energiepreise würden weiter steigen, weil die Atomenergie an Bedeutung verliere: „Die fossilen Energieträger werden also mittelfristig benötigt und das wiederum bedeutet, dass die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas steigen wird.“