Bierhaus unter Wasser Auch die deutsche Community leidet in Houston
Houston (dpa) - Als Philipp Sitter am Samstag sein „Bierhaus“ in Houston öffnete, konnte er noch trockenen Fußes über den Parkplatz gehen. Am Sonntag dann musste der gebürtige Österreicher buchstäblich schwimmen.
„Wir standen bis zur Brust im Wasser“, erzählt er.
„Houston ist von einer Stadt zu einer Insel geworden.“ Seinen Vater Hans hat es noch schlimmer getroffen. Rettungskräfte mussten den Wiener per Boot aus seinem vollgelaufenen Haus holen. Dann wurde geschrubbt im „Bierhaus“. „Wir haben alles wieder sauber gemacht“, sagt Sitter.
Das Hochwasser in Texas hat auch die deutschsprachige Gemeinde in der Gegend getroffen. Texas war vor allem im 19. Jahrhundert Ziel zahlreicher Auswanderer aus Europa, vor allem auch aus dem deutschsprachigen Raum. Familiennamen wie Altwein, Ulbrich oder Guettler sind dort gebräuchlich, viele der Nachfahren pflegen bei Stammtischen oder in deutschen Gesellschaften noch die Traditionen aus der Heimat ihrer Vorfahren.
In Texas existieren deutsche Gesangvereine, Schützen- und Oktoberfeste werden gefeiert. Wie viele Deutsche in Texas leben, weiß niemand - neue Zuwanderer verschmelzen mit Deutschstämmigen, deren Familien seit Generationen dort leben.
Und sie stehen im Kampf gegen die Fluten zusammen. „Wir helfen uns gegenseitig“, sagt Ute Eisele. Sie leitet die deutschsprachige Samstagsschule in Houston. Vor ihrem Haus schwimmen Boote vorbei. „Die Leute haben nur einen Müllsack dabei, da ist ihr Hab und Gut drin“, sagt die Schulleiterin, die auch den deutschen Kulturkreis in Houston leitet. Viele müssten in Notunterkünfte. „Sie dürfen soviel mitnehmen, wie man in ein Flugzeug mitnehmen darf.“
Houston kämpft mit den Fluten und die Deutschen kämpfen mit. 125 Zentimeter Niederschlag musste die Stadt in wenigen Tagen verkraften - soviel wie noch nie auf dem Festland der USA zuvor gefallen ist. Weil Plünderer und Trickbetrüger die Situation ausnutzen, musste Bürgermeister Sylvester Turner eine Ausgangssperre verhängen.
Turner steht in der Kritik - viele glauben, er hätte die ganze Stadt viel früher evakuieren müssen. Sitter widerspricht: „Die Autobahnen ringsherum sind überflutet. Dann wäre alles noch viel schlimmer geworden.“
Ute Eisele berichtet von langen Schlangen vor geschlossenen Läden, und Kollegen, deren Häuser zwangsevakuiert wurden. Jeden Tag schaut sie in der Kirche nach, wo eigentlich schon in den nächsten Tagen der Unterricht für die knapp 300 Schüler wieder losgehen sollte. „Noch ist es trocken. Aber die Schule haben wir erst einmal abgesagt.“ Houston, im Notstand.
Nicht viel besser geht es Georg Ulbrich. Als Deutschstämmiger in fünfter Generation wohnt er in La Grange, direkt am Colorado-Fluss gelegen, der längst über die Ufer getreten ist. Sein Haus steht etwas erhöht und blieb deshalb trocken. In den vergangenen beiden Tagen wohnten vier Fremde bei ihm - sie hatten es nicht so glücklich getroffen. „Der Regen hat nachgelassen, jetzt sind sie wieder nach Hause gegangen“, sagt der 74-Jährige lapidar.
Wie Ulbrich engagiert sich auch Glenn Guettler in der „Texas German Society“ einer Brauchtumsorganisation, die deutsche Traditionen hochhält. „Wir haben soviel Regen erlebt, wie die USA noch nie erlebt haben“, beschreibt er die Situation in den vergangenen Tagen. Die „Bayos“, kleine Abwassergräben, die die Stadt eigentlich vor Hochwasser schützen sollen, sind zu reißenden Sturzbächen geworden.
Auch Guetller ist mit seinem Haus in Houston vor den Fluten verschont geblieben. „Ich habe vor 44 Jahren ein Haus gebaut und ich habe mir den höchstgelegenen Platz in der ganzen Gegend ausgesucht“, sagt der 82-Jährige.
Der Österreicher Sitter, 1996 nach Texas ausgewandert und dort zu einem erfolgreichen Unternehmer geworden, hat das Glück nicht. „Wir standen tatsächlich bis zur Brust im Wasser“, erzählt der 25-Jährige. Mit seiner Freundin Jeanette Gonzalez hatte er sich am Sonntag auf dem Weg gemacht. „Wir wollten wenigstens den Strom abstellen.“
Die Sitters beschäftigen in ihren beiden Restaurants 220 Mitarbeiter. „Viele sind obdachlos geworden“, erhält der Juniorchef. „Das sind Leute, die leben oft von Zahltag zu Zahltag, die haben keine finanziellen Polster. Denen ist alles genommen.“ Sitter entschloss sich deshalb, nächste Woche eine Benefizveranstaltung für seine Leute und alle anderen Flutopfer zu initiieren.
Im Biergarten gibts Freibier, die Einnahmen kommen den Notleidenden zugute. Doch dann geht es zurück zur Normalität - langsam. „In einem Viertel, in dem bisher 50.000 Leute wohnten werden nur noch 15.000 wohnen. Die Stadt wird anders aussehen.“