Aufständische in Tripolis sind hochgradig nervös
Tripolis (dpa) - Einen Tag nach der Eroberung von Gaddafis Residenz in Tripolis ist die Situation noch brandgefährlich. Die Rebellen warten auf die Ankunft ihrer politischen Führer in der Hauptstadt und hoffen auf ein Ende des Krieges.
„Der Westen von Tripolis ist unter der Kontrolle der Revolutionäre und auch im Norden der Stadt sieht es gut aus“, sagt Abdelhafis al-Kilani, der Chef des lokalen Militärkomitees der Rebellen im Bezirk al-Siahija. Doch dann raunt der Offizier mit dem akkurat gestutzten Kinnbart seinem Assistenten etwas zu. Dieser sagt anschließend zu einem jungen Libyer, mit dem er entfernt verwandt ist: „In den nächsten zwei Tagen gehe bitte in der Stadt nirgendwo hin. Und fahrt immer mit zwei Autos. An der Schnellstraße Richtung Tadschura wird geschossen. Das Gebiet rund um dem Flughafen ist brandgefährlich. Ich hoffe, dass wir die Situation in einer Woche in den Griff bekommen haben.“
Al-Kilani sitzt in einem klimatisierten Konferenzraum der staatlichen Ölbehörde. Das Gebäude haben die Aufständischen drei Tage zuvor eingenommen. Einige Glastüren sind zersplittert. Im Flur liegt eine nicht explodierte Granate. Rund um den beigefarbenen Bau liegen Kämpfer im Schatten und ruhen sich aus vor dem nächsten Einsatz.
Ganz in der Nähe hört man gelegentlich Schüsse aus automatischen Waffen. Oft sind es Freudenschüsse der Rebellen. Plötzlich ertönt ein dumpfes Dröhnen. Al-Kilani lächelt. „Keine Sorge, wir probieren nur ein Geschütz aus“, sagt er.
Auch den Familien in Tripolis raten die Rebellen zur Vorsicht. „Verlasst in den nächsten zwei Tagen eure Häuser nur, wenn es unbedingt nötigt ist“, sagen sie. Wie das zusammenpasst mit den jubelnden Menschen, die am Vorabend und am Montag im Stadtzentrum den Sieg über den Tyrannen gefeiert haben, kann Al-Kilani nicht so recht erklären.
Die Strategie der verbliebenen Gaddafi-Getreuen sei es nun, Chaos zu stiften, indem sie Waffenlager öffnen und Ausländer entführen, sagen die Rebellen. Die Aufständischen warten an diesem heißen Sommertag auf den ersten Besuch der Mitglieder des Übergangsrates, der lange in der östlichen Stadt Bengasi residiert hat. Da der Flughafen von Tripolis noch umkämpft ist, sollen sie in der Stadt al-Sintan landen und von dort in die Hauptstadt weiterreisen.
„Gaddafi ist nicht dumm oder verrückt, er ist gefährlich und schlau. Wie sonst hätte er unser Volk 42 Jahre lang beherrschen können“, sagt Farhat Abdelgasim (29). Vor dem Aufstand arbeitete der Bauunternehmer, der aus al-Sintan stammt, in Tripolis. Seit Februar kämpft er mit den Rebellen. Er sagt, der Endkampf um Tripolis habe am 20. Tag des Fastenmonats Ramadan begonnen. „Am gleichen Tag war damals der Prophet Mohammed mit seinen Getreuen aus Medina in die Stadt Mekka einmarschiert. In beiden Fällen war es eine von Gott gesegnete Operation.“
Abdelgasim trägt einen ausgefransten schwarzen Bart und eine Kalaschnikow. Ein militanter Islamist ist er nicht. Er schüttelt Frauen die Hand. Sein Freund, der zusammen mit ihm dafür sorgt, dass ausländische Journalisten auf dem Weg nach Tripolis nicht in Gegenden geraten, die noch beschossen werden, verteilt Fruchtsaft an die westlichen Ausländer und ihre tunesischen Begleiter, die sich nicht an die strengen Regeln des Ramadan halten. Er sagt: „Nächste Woche ist der Fastenmonat vorbei und, so Gott will, auch der Krieg.“