Autor Trojanow: Eurokrise stellt Kapitalismus infrage
Berlin (dpa) - Der Schriftsteller Ilija Trojanow, der mit seinem Buch „Der Weltensammler“ einen großen Erfolg bei Kritik und Publikum landete, sieht Europa vor einer Welle des Nationalismus.
Die Eurokrise sei ein Zeichen dafür, dass der Kapitalismus mit seinem Wachstumswahn und seiner Zerstörungswut an seine Grenzen gestoßen sei. Der 46-jährige Autor, der jüngst mit „Eistau“ einen Roman über den Klimawandel geschrieben hat, stellt in einem dpa-Interview die Frage, ob Schulden bei Banken überhaupt bedient werden müssen.
Die Europäische Union steht vor ihrer schwersten Krise - doch es sind vor allem Politiker und kaum Intellektuelle, die sich zu Wort melden.
Trojanow: „Grundsätzlich finden Intellektuelle heute weniger Gehör, in den Massenmedien haben es alternative Konzepte schwer. Es findet zudem eine technokratische Debatte über Eurobonds und Rettungsschirme statt, selbst unter Finanzleuten herrscht Unsicherheit. Da ist es für Intellektuelle schwer, pragmatische Ratschläge zu geben. Und am Ende werden die Entscheidungen ohnehin von den Eliten getroffen.“
Ist der Traum von einem vereinten Europa ausgeträumt?
Trojanow: „Wir erleben gerade einen Rückfall in den Nationalismus. In Deutschland wird so getan, als ob vor allem die Deutschen die Rechnung zahlen müssten, dabei waren sie die großen Nutznießer der Euro-Zone. Die Frage ist, wieso Kredite an Banken zurückgezahlt werden müssen, die bewusst das Risiko eingegangen sind, dass die Schuldner diese nicht zurückzahlen können.“
Sie klingen pessimistisch hinsichtlich der Zukunft der EU?
Trojanow: „Es geht mir nicht so sehr um die Zukunft der EU als um jene der Weltgesellschaft insgesamt. Bei meinen Lesungen erfahre ich eine wachsende Wut gegen den Geist der Unvernunft und den mangelnden Zukunftswillen unseres Wirtschaftssystems. Die Occupy-Bewegung ist ein erster Schritt, Widerstand zu leisten. Es ist infam, wenn Politiker davon sprechen, das man dem "Druck der Straße" nicht nachgeben soll. Öffentlicher Protest ist die Wiedereinführung demokratischer Rechte!“
Sie sind als Autor immer wieder in Afrika und Asien unterwegs - wie blicken dort die Menschen auf Europa?
Trojanow: „Europa ist eine Festung, die sich den Flüchtlingen mit brutalen Methoden verschließt. Aber für viele ist Europa ohnehin nicht mehr das gelobte Land. Ein Friseur in Bamako ((Anm.: Hauptstadt von Mali) erzählte mir Anfang des Jahres, er sei aus Italien zurückgekehrt, weil er lieber arm in Mali lebt als unter wachsender Ausgrenzung in Europa. Und die Gebildeten in Indien ziehen es vor, in den USA, Kanada oder Australien eine Zukunft zu suchen - Europa kommt bei denen kaum vor.“
Sie sind unlängst nach Wien gezogen - warum?
Trojanow: „Ich habe jahrelang in Städten wie Mumbai gelebt - dort hatte ich das Gefühl, im Zentrum der Welt zu sein. In Wien bin ich mitten in der Peripherie angekommen. Und hier habe ich meinen Traum von einer eigenen Bibliothek erfüllt.“