Merkel bleibt bei EU-Vertragsänderungen hart
Berlin/Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird beim EU-Gipfel in Brüssel auf den geforderten Änderungen der EU-Verträge bestehen.
Es würden bei dem Treffen am Donnerstag und Freitag keine faulen Kompromisse gemacht, sagten hohe Regierungsbeamte am Mittwoch in Berlin. Merkel will nationale Schuldenbremsen einführen und im europäischen Recht verankern. Ferner sollen die Institutionen der Europäischen Union so gestärkt werden, dass sie die Mitgliedstaaten bei zu hoher Verschuldung zu einem harten Stabilisierungs- und Sparkurs zwingen können.
Notfalls müsse der Gipfel verlängert werden. Ein hoher Diplomat betonte, Merkel sei ausdrücklich offen für eine Einigung über die Gruppe der 17 Euro-Staaten hinaus, sozusagen für ein „17 plus“. Es werde keine abgeschottete Eurozone angestrebt. Aber: „Unabdingbar sind die 17“, hieß es mit Blick auf Länder mit der Euro-Währung. Eine Eurogruppensitzung in der kommenden Woche sei denkbar.
In Brüssel wurden die Ankündigungen aus dem Bundeskanzleramt mit Skepsis aufgenommen. Es sei zwar das Recht der Mitgliedstaaten, untereinander Vereinbarungen abschließen, auch zu 17, sagte ein hoher EU-Verantwortlicher. Bei der der neuen Stabilitätsunion sollten aber alle 27 Staaten an Bord sein: „Der Euro ist die europäische Währung, auch wenn sie nicht von allen Staaten eingeführt wurde.“ Die EU dürfte - auch auf internationaler Ebene- nicht als gespalten wahrgenommen werden.
Der Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker sagte dazu im Interview mit der Zeitung „Luxemburger Wort“ (Donnerstag): „Alles, was wir unternehmen, sollte darauf ausgerichtet sein, vertragliche oder sekundarrechtliche Regelungen zwischen 27 Mitgliedsstaaten hinzubekommen. Gelingt das nicht, bin ich dafür, dass wir im Rahmen der Eurozone vertragsrechtliche oder sekundarrechtliche Änderungen suchen.“
Harsche Kritik kam vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Die Pläne zur Änderung der EU-Verträge seien undemokratisch, unsozial und krisenverschärfend. „Mit neuen automatischen Sanktionen würden die demokratischen Rechte der nationalen Parlamente empfindlich beschnitten. Die Institutionen der Europäischen Union steuern damit auf einen Demokratie-Crash zu“, sagte Alexis Passadakis vom bundesweiten Attac-Rat. Außerdem würde die Kürzungspolitik der europäischen Regierungen weiter forciert.
Unterdessen stellte Großbritanniens Premierminister David Cameron für den EU-Gipfel harte Verhandlungen in Aussicht. Er werde keine Vertragsänderung unterschreiben, wenn darin keine Klausel zum Schutz der britischen Interessen enthalten sei. Im britischen Unterhaus versicherte Cameron, er werde mit „Bulldoggen-Temperament“ nach Brüssel reisen. „Unsere Kollegen in der EU müssen wissen, dass wir keiner Vertragsänderung zustimmen werden, die unsere Interessen nicht schützt.“ Auch dies stößt in Brüssel auf Skepsis. Cameron dürfe die Verhandlungen nicht blockieren, hieß es. „Wir sollten Maximalpositionen vermeiden.“
Juncker sagte zur Rolle Londons: „Ob zu 27 oder zu 17: Wir sollten keine Felder aufmachen, auf denen sich Großbritannien losgelöst von der Gesamtdisziplin in Europa bewegen sollte. Zum Beispiel ist es nicht denkbar, dass wir innerhalb der Eurozone Regelungen zu Finanzdienstleistungen finden und dass London in Sachen Finanzdienstleistungen machen könnte, was im Interesse der City wäre und was sich nachteilig für andere Finanzzentren in Europa, darunter auch Luxemburg, auswirken würde.“
Zweifel gibt es daran, ob Vertragsänderungen mit notwendiger Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedstaaten schnell oder überhaupt zu erreichen sind. So warnt Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vor Vertragsänderungen, die Referenden nach sich ziehen könnten. „Wollen wir wirklich in einem Moment, da das Ansehen des europäischen Projekts an einem Tiefpunkt ist, neue Abstimmungen in den einzelnen Ländern wagen? Das finde ich sehr kühn“, sagte er dem Blatt. Sein schwedischer Amtskollege Carl Bildt warnte: „Soll hingegen künftig etwa der Europäische Gerichtshof die Entscheidungen der einzelnen Parlamente kontrollieren, dann werden Grundsätze der parlamentarischen Demokratie infrage gestellt.“
In Brüssel werde getrickst und versucht, die Krise in kleinen Trippelschritte zu lösen, hieß es in Berlin. Damit würden die Öffentlichkeit und die Finanzmärkte aber nicht beruhigt. Die Politik müsse Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen. Die Einschätzung, ob es zu einer Einigung aller 27 Mitgliedstaaten komme, sei pessimistischer als noch in der vergangenen Woche. In Berlin bestehe der Eindruck, dass einige Länder und Funktionsträger den Ernst der Lage noch nicht verstanden hätten.
Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy haben ihre Vorschläge zur Verankerung strengerer Euro-Stabilitätsregeln an die EU übermittelt. „Wir sind überzeugt, dass wir unverzüglich handeln müssen“, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten gemeinsamen Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Darin wird bekräftigt, dass beim EU-Gipfel Entscheidungen getroffen werden müssten, „damit die neuen vertraglichen Bestimmungen im März 2012 vorliegen“.
Merkel und Sarkozy hatten ihre Vorschläge bereits bei einem Treffen am vergangenen Montag in Paris skizziert, als sie sich in Paris gemeinsam für eine Veränderung der EU-Verträge aussprachen. Automatische Sanktionen sollen alle EU-Mitglieder zu einem Stabilitätskurs zwingen. Die deutsch-französischen Vorgaben sind allerdings nicht unumstritten. Kleinere EU-Länder wollen ein „Diktat“ der beiden Großen nicht akzeptieren.