Scharfe Kritik an Erdogan Berlin bestellt türkischen Gesandten ein
Berlin (dpa) - Nach der Festnahme wichtiger Oppositionspolitiker in der Türkei hat die Bundesregierung die Vorgänge im Nato-Partnerland als „alarmierend“ bezeichnet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte den amtierenden türkischen Gesandten zum Gespräch ins Auswärtige Amt.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini berief ein Treffen der EU-Botschafter in Ankara ein. Scharfe Kritik am „zunehmend diktatorischen“ Führungsstil des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan äußerten Politiker in Deutschland. Reaktionen im Überblick:
Außenminister Steinmeier: „Niemand bestreitet das Recht der Türkei, der Bedrohung durch den Terrorismus entgegen zu treten und den blutigen Putschversuch mit rechtsstaatlichen Mitteln aufzuarbeiten. Das darf aber nicht als Rechtfertigung dafür dienen, die politische Opposition mundtot zu machen oder gar hinter Gitter zu bringen.“
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Festnahmen bestätigten „alle internationalen Befürchtungen“. Er fügte hinzu: „Es bleibt dabei: Es ist in hohem Maße alarmierend, was derzeit in der Türkei geschieht.“
Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel schrieb auf Twitter: „Bin zutiefst schockiert ü. jüngste Verhaftungen i. d. #Türkei. (...) Die Reg. muss wissen, dass wir ihr Vorgehen scharf + klar verurteilen.“
CSU-Chef Horst Seehofer forderte die Unterbrechung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Für ein Land, das die Todesstrafe einführen wolle, ein Land, das beinahe täglich Journalisten oder Politiker verhafte, ein Land, das Grundrechte mit Füßen trete - für ein solches Land dürfe es keine Visafreiheit geben, sagte Seehofer in München. Und die Verhandlungen über einen EU-Beitritt müssten „mindestens“ unterbrochen werden, fügte er hinzu.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), sagte der „Welt“: „Schrittweise, aber konsequent und nach Plan folgt auf den Putschversuch in der Türkei der Staatsputsch mit der umfassenden Verfolgung jeder Art von Opposition.“
Der CSU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl sagte der „Welt“: „Führer Erdogan verwandelt die Türkei mit seinem aggressiv-autoritären Verhalten zunehmend von einem Transitstaat, durch den Flüchtlinge nach Europa reisen, zu einem Herkunftsstaat, der eigene Staatsbürger vertreibt.“
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, sprach von einem „rabenschwarzen Tag“ für die Türkei. „Der Kurs von Präsident Erdogan führt die Türkei immer weiter von Europa weg in die zunehmende Isolation und gefährdet zudem die innere Stabilität des Landes. Dies ist eine hochgefährliche Entwicklung eines wichtigen Nato-Mitglieds.“
Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, sagte im ARD-„Morgenmagazin“: „Wer die Rechtsstaatlichkeit verteidigt, muss sie auch praktizieren und deshalb muss Erdogan jetzt zur Vernunft kommen.“
Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok forderte Konsequenzen. „Was vergangene Nacht in der Türkei passiert ist, ist nicht hinnehmbar. Das entfernt die Türkei weiter von der Europäischen Union“, sagte er der „Huffington Post“. „Die EU-Beitrittsverhandlungen sollten unter diesen Umständen nicht weitergehen.“
Grünen-Chef Cem Özdemir forderte zum gemeinsamen Handeln auf. „Ich schlage vor, dass alle demokratischen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, gemeinsam agieren.“ Das Drangsalieren von Medien und Opposition in der Türkei sei „eine Art Putsch“.
Der außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, forderte in der „Huffington Post“, den demokratischen Kräften in der Türkei beizustehen: „Erdogan setzt alles daran, zu provozieren, damit der Kampf mit den Kurden eskaliert. Er will extremistische Kräfte innerhalb der kurdischen Bevölkerung anstacheln.“
Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen schrieb auf Facebook: „Die Festnahmen in der Türkei sind Erdogans Signal für den Bürgerkrieg. Er will die Diktatur. Er will die Zerschlagung der HDP und Opposition im Land. Es ist Zeit für Sanktionen gegen Erdogan!“
Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Toprak, zog Parallelen zu Hitler-Deutschland. Er sagte in SWRinfo: „Wir werden gerade live Zeuge, wie eine Diktatur wie unter Hitler entstehen konnte. Gleichschaltung der Presse, Festnahme von Oppositionellen, Säuberung, Appeasement-Politik des Auslands. Das ist wirklich wie im Dritten Reich.“