Berlin hat mit Gaddafi schon abgeschlossen

Berlin (dpa) - Aus heutiger Sicht kann Guido Westerwelle einigermaßen dankbar dafür sein, dass der Gastgeber des EU-Afrika-Gipfels im letzten November in Tripolis kaum Zeit für ihn hatte. So blieb es beim Austausch einiger Höflichkeiten und einem kurzen Händedruck mit Muammar al-Gaddafi auf dem Flur.

Alles andere wäre jetzt, da Libyens „Revolutionsführer“ die Proteste auf den Straßen niedermetzeln lässt, für den deutschen Außenminister auch ziemlich unangenehm. Inzwischen haben sich die Deutschen an die Spitze derer gesetzt, die ein hartes Vorgehen gegen den Gaddafi-Clan verlangen. Seit Beginn der Woche lässt die Bundesregierung keinen Zweifel mehr daran, dass für sie die Ära Gaddafi nach vier Jahrzehnten praktisch schon vorbei ist. Westerwelle machte am Dienstag nochmals klar: „Eine Herrscherfamilie, die das eigene Volk mit Bürgerkrieg bedroht, ist am Ende.“

Solch harte Töne hat man seit Beginn der Unruhen in der arabischen Welt aus Berlin noch nie gehört. Das hat verschiedene Gründe: In Tunesien und Ägypten, wo die Staatschefs schon gestürzt wurden, gingen die Sicherheitskräfte nicht mit solcher Brutalität gegen das eigene Volk vor. Zudem sieht man in der Bundesregierung keine großen Veranlassung, auf Gaddafi besondere Rücksicht zu nehmen. Bei Husni Mubarak, dem treuen Partner von einst, war dies noch anders.

Und schließlich hat man im Hause Westerwelle nach der anfänglichen Unsicherheit auch schon eine gewisse Erfahrung, wie auf Aufstände in der arabischen Welt zu reagieren ist. Auch mit der Reisewarnung ging es schneller als früher. Am Dienstag waren eine Sondermaschine der Lufthansa und zwei Transall der Bundeswehr nach Tripolis unterwegs, um Landsleute aus Libyen zurückzuholen. Geschätzt wurde, dass der Großteil der noch etwa 400 Bundesbürger dort ausreisen wollte.

Schwerer hingegen tut sich die Bundesregierung mit einer angemessenen politischen Reaktion. Der erste Versuch, auf europäischer Ebene schnelle Sanktionen durchzusetzen, misslang. Bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel verhinderte vor allem Italien ein gemeinsames Vorgehen: Gaddafi und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sind freundschaftlich miteinander verbunden; zudem fürchtet Italien einen Exodus aus Nordafrika. „Das war keine erfrischende europäische Vorstellung“, heißt es dazu im Auswärtigen Amt.

Westerwelle wurde deshalb am Dienstag umso deutlicher. „Sollte Libyen weiter mit Gewalt gegen das eigene Volk vorgehen, werden Sanktionen unvermeidlich sein.“ Gedacht wird insbesondere an die Sperrung von Konten sowie ein Einreiseverbot für die Familie Gaddafi. Für den Gaddafi-Sohn Saif al-Arab, der seit einigen Jahren auf großem Fuß in München lebt, könnte dies schnell Konsequenzen haben.

Auf einen Termin für die Sanktionen legte sich Westerwelle aber nicht fest. Erklärtes Ziel ist, alle 27 Staaten der Europäischen Union (EU) gemeinsam dazu zu bringen. Aber Berlin hält auch einen Beschluss ohne Länder wie Italien oder Malta für möglich. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich nicht alle derzeit in der gleichen Weise äußern wollen“, sagte Westerwelle. Umso wichtiger sei es für die anderen, eine „klare Sprache“ zu finden.

Für den FDP-Chef ist die Demokratiebewegung in der arabischen Welt auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, als Außenminister Profil zu gewinnen. In Tunesien, wo die Revolutionen ihren Ausgang nahmen, war er schon. An diesem Mittwoch reist er zum ersten Mal seit dem Abgang Mubaraks nach Ägypten. Und natürlich hofft man im Auswärtigen Amt darauf, dass sich in diesem Frühjahr auch Gelegenheit für einen neuen Besuch in Tripolis finden wird - ohne dass man sich Gedanken über einen Handschlag mit Gaddafi machen muss.