Berlinale-Bilanz: Schwacher Wettbewerb, starke Frauen

Berlin (dpa) - Zu wenig Weltpremieren, nur ein deutscher Film in der Bären-Konkurrenz und ein insgesamt enttäuschend schwacher Wettbewerb - Berlinale-Direktor Dieter Kosslick (64) musste bei der 63. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin viel Kritik einstecken.

Ob berechtigt oder nicht (im Bären-Rennen waren von 19 Filmen immerhin 15 Weltpremieren), eines wird von der diesjährigen Berlinale auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben: Starke Frauen in starken Rollen waren in vielen Filmen zu sehen, vor allem in den Regiearbeiten aus Österreich, Frankreich, Chile und Rumänien.

Kosslick gelang außerdem ein Coup: Er schaffte es, den im Geheimen und ohne Genehmigung der Behörden gedrehten Film des verfolgten iranischen Regisseurs Jafar Panahi nach Berlin zu holen. Damit setzte der Festivalchef ein politisches Zeichen und rief zu weltweiter Solidarität für den mit 20 Jahren Berufsverbot belegten Filmemacher auf.

Panahis Film „Geschlossener Vorhang“ („Pardé“) ist auch einer der Favoriten für die Berlinale-Trophäen. Unter dem Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai wird die internationale Jury - darunter auch der deutsche Filmemacher Andreas Dresen („Halt auf freier Strecke“) die Gewinner des Goldenen und der Silbernen Bären bekannt geben.

Bären-Chancen werden auch dem Publikumsliebling „Gloria“ aus Chile und vor allem seiner charmanten Hauptdarstellerin Paulina Garcia eingeräumt. Garcia spielt in der Tragikomödie von Sebastián Lelio eine Frau Ende 50, die noch einmal von der großen Liebe träumt - und einen holperigen Weg zu neuem Selbstwertgefühl geht.

Die wohl unsympathischste Figur aller Wettbewerbsfilme verkörpert preisverdächtig Luminita Gheorghiu in dem hoch gehandelten rumänischen Krimi „Die Stellung des Kindes“ („Pozitia Copilului“). Calin Peter Netzer erzählt von einer Frau, deren erwachsener Sohn bei einem Autounfall ein Kind getötet hat. Die Mutter will den Sohn nun mit allen Mitteln vor dem Gefängnis bewahren.

Einen Silbernen Bären als beste Schauspielerin hätte auch die Österreicherin Melanie Lenz verdient. Als sie für Ulrich Seidls Trilogie-Abschluss „Paradies: Hoffnung“ vor der Kamera stand, war sie erst 13 Jahre alt. Unglaublich präsent und unprätentiös spielt Lenz ein übergewichtiges Mädchen, das sich in einem Diätcamp in einen 40 Jahre älteren Arzt verliebt.

Eine Entdeckung ist die 23-jährige Belgierin Pauline Étienne. Sie spielt in dem französischen Film „Die Nonne“ von Guillaume Nicloux ein Mädchen, das um das Jahr 1760 von seinen Eltern gezwungen wird, ins Kloster zu gehen - souverän und berührend. Ganz stark auch der französische Star Juliette Binoche als verzweifelte, in der Psychiatrie eingesperrte Bildhauerin in Bruno Dumonts „Camille Claudel 1915“.

Auf ein geteiltes Echo stieß der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Gold“ von Thomas Arslan. Auch seine Hauptdarstellerin Nina Hoss, die darin als Goldsucherin Richtung Kanada unterwegs ist, konnte die Zuschauer des Films nach Meinung vieler Kritiker nicht vor Langeweile retten. Enttäuschend war auch „Layla Fourie“ der gebürtigen Südafrikanerin und heutigen Wahl-Berlinerin Pia Marais - zu viele Lücken im Drehbuch machten den Film mit August Diehl in der männlichen Hauptrolle zum Ärgernis.

Für die Berlinale - das größte Publikumsfestival der Welt - war es immer schwierig, die Balance zwischen politisch und künstlerisch ambitioniertem Film, großem Unterhaltungskino und der unverzichtbaren Glamour-Show zu halten. Seit Jahren macht dem Festival außerdem die Vorverlegung der Oscar-Verleihung auf Ende Februar zu schaffen. Um sich für die Oscars zu positionieren, lassen Hollywoodregisseure ihre Filme jetzt schon im Dezember in den Kinos starten - die Berlinale hat das Nachsehen.

Gus Van Sants Wettbewerbsfilm „Promised Land“ mit Matt Damon oder Tom Hoopers in der Special-Reihe gezeigtes Musical „Les Misérables“ mit Anne Hathaway sind zum Beispiel in vielen Ländern längst angelaufen. Doch der Wunsch nach Glanz auf dem roten Teppich wurde in Berlin auch in diesem Jahr wieder erfüllt. Dafür sorgten Stars wie Amanda Seyfried, Jude Law, Anita Ekberg, Jane Fonda und Isabelle Huppert.