Brüssel: EU-Beitrittsverhandlungen mit Türkei nicht blockieren

Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission warnt Deutschland und andere Mitgliedstaaten vor einer Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Nichts sei besser geeignet als der Beitrittsprozess, um Reformen anzustoßen und Kooperationsprojekte im Interesse der EU voranzubringen.

Das schreibt EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in seinem Jahresbericht. Gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und der Konflikte in Syrien und im Irak sei die Türkei als strategischer Partner wichtig. Füle spielte damit unter anderem auf die bedeutende Rolle des Landes im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an.

Um die türkische Regierung zu einem EU-freundlichen Kurs zu ermuntern, sprach sich Füle erneut für eine Ausweitung der Beitrittsverhandlungen aus. „Dies würde der Türkei einen klaren Plan für Reformen auf Basis europäischer Standards liefern“, erklärte der Tscheche in Brüssel.

Bislang verhandelt die EU mit der Türkei nicht über Beitrittsvoraussetzungen in Bereichen Grundrechte, Justiz und Rechtsstaatlichkeit. Eine ganze Reihe von bereits geöffneten Verhandlungskapiteln ist zudem aus politischen Gründen blockiert.

Über acht Bereiche soll nach einem Beschluss der EU-Regierungen erst verhandelt werden, wenn die Türkei ein Assoziierungsabkommen mit der EU auch auf Zypern ausweitet. Im Norden des EU-Mitglieds Zypern hat sich eine nur von der Türkei anerkannte türkische Republik abgespalten. Von Zypern werden sechs Verhandlungskapitel blockiert.

Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in der Türkei, forderte Füle die Regierung in Ankara auf, Rechtsstaatlichkeit sowie Presse- und Meinungsfreiheit sicherzustellen. Konfrontiert mit Korruptionsvorwürfen habe die Regierung in den vergangenen Monaten ein Verhalten gezeigt, das Anlass gebe, sich „ernsthafte Sorgen“ über die Unabhängigkeit der Justiz und den Schutz der Grundfreiheiten zu machen.

Als Beispiele nannte der scheidende Kommissar unter anderem die Blockade von Internetangeboten wie Youtube und Twitter sowie die Entlassung von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern.

Vor allem konservative Parteien in der EU stehen den Beitrittsverhandlungen wegen Maßnahmen dieser Art äußert kritisch gegenüber. „Die Erdogan-Türkei hat in Europa nichts verloren“, sagte beispielsweise CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nach der Wahl des bisherigen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan zum türkischen Präsidenten. „Die Türkei entfernt sich immer mehr von der EU. Sie hat sich wieder einmal selbst ein Armutszeugnis ausgestellt“, kommentierte am Mittwoch die Türkei-Berichterstatterin der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Renate Sommer (CDU).

Der künftige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte zuletzt gesagt, er sehe bis 2019 keine Möglichkeit für eine neuerliche EU-Erweiterung. Der im Zuge der Kommissionsumbildung ausscheidende Füle hält dies für das „falsche Signal“ an die Beitrittsanwärter. Zu ihnen gehören neben der Türkei auch Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien.

Über die Fortschritte der Balkanländer im europäischen Integrationsprozesses wird im Jahresbericht von Füle mehrheitlich ein sehr kritisches Urteil gefällt. Es fallen Begriffe wie Stillstand oder sogar Rückschritt, wenn es um Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit geht. Lediglich Serbien, das Kernland des früheren Jugoslawiens, kann sich über eine überwiegend positive Bewertung freuen.