US-Präsident droht Partnern Brüsseler Parallelwelt: Trump schockiert die Nato
Brüssel (dpa) - Am Ende eines Nato-Gipfels, an dem Donald Trump mit einem Alleingang der USA drohte, an dem das mächtigste Militärbündnis der Welt ernsthaft zu wanken schien, steht der US-Präsident auf einem Podium und spricht über den Weltfrieden.
Eine Zukunft ohne Atomwaffen, ohne Kriege, das sei sein ultimatives Ziel, sagt er zum Abschluss eines Treffens, das einer emotionalen Achterbahnfahrt glich. Der Nato sichert er die Bündnistreue zu. Die anderen Mitglieder, denen er kurz zuvor noch deutlich wie nie zuvor gedroht hatte, lobt er überschwänglich. Die zwei Tage in Brüssel seien großartig gewesen, die Stimmung kollegial, man habe sehr viel erreicht, die Nato laufe wie eine „fein abgestimmte Maschine“.
Der US-Präsident spricht davon, dass es beim Gipfel „enorme Fortschritte“ gegeben habe, andere Länder hätten „erhebliche“ Zusagen bei den Verteidigungsausgaben gemacht.
Dabei gibt es gar keine neuen Abmachungen. Jedenfalls sind keine öffentlich bekannt. In der Gipfelerklärung sind sie nicht enthalten. Und auch von den anderen 28 Staats- und Regierungschefs ist davon nichts zu hören.
Willkommen in Trumps heiler Welt.
Diese steht am Morgen allerdings noch am Abgrund. Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird auf einem Nato-Gipfel eine dringliche Krisensitzung einberufen. Das zweitägige Treffen des transatlantischen Bündnisses steht kurz vor dem Scheitern. Kurzzeitig kursieren sogar Spekulationen, die Nato könne am Ende zerbrechen.
Was ist passiert?
In einer ganz normalen Arbeitssitzung, in der es eigentlich um die Bedrohung der Ukraine und Georgiens durch Russland geht, echauffiert sich Trump wieder einmal dermaßen über mangelnde Verteidigungsausgaben seiner Bündnispartner, dass die Lage eskaliert. Auf einmal fordert er von jedem Mitgliedstaat zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär schon bis Januar 2019. Und dann lässt er auch noch einen Satz fallen, der für die Europäer das Fass zum Überlaufen bringt: „Andernfalls werde ich mein eigenes Ding machen.“
Rumms. Dass ein amerikanischer Präsident auf einem Gipfel den Ausstieg aus der Nato, dem Kern der transatlantischen Gemeinschaft andeutet, hat es noch nie gegeben. Also wieder mal eine völlig neue Erfahrung mit einem ziemlich extravaganten Staatschef, der sich an keine tradierten Regeln der Diplomatie mehr hält.
Beim G7-Gipfel in Kanada zerschredderte er nachträglich die mühsam ausgehandelte Abschlusserklärung. So weit kommt es diesmal zwar nicht. Die Einlassungen Trumps führen aber dazu, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine Krisensitzung einberuft, an der nur noch die Chefs und jeweils ein Minister oder Berater teilnehmen. So etwas hat es seit einem Streit über den Nato-Beitritt Georgiens in Bukarest 2008 nicht mehr gegeben. Neue Argumente oder Beschlüsse bringt die Sondersitzung nicht. Am Ende scheinen sich aber alle so weit beruhigt zu haben, dass sie zumindest zwei minimale Grundsätze gemeinsam bekräftigen: Alle stehen zur Nato und alle erkennen die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben an.
Der Rest ist Ansichtssache. Trump präsentiert sich als der Sieger des Gipfels. Er wirkt zufrieden und kein bisschen aggressiv, als er am Donnerstagmittag mehr als eine halbe Stunde lang Fragen von Journalisten beantwortet. Eigentlich hatte er gar keine Pressekonferenz geplant, dann setzte das Weiße Haus überstürzt doch noch eine an. Es bietet Trump die Möglichkeit, die Deutungshoheit über einen Gipfel zu behalten, den er schon im Vorfeld mit seinem Streit ums Geld gekapert hatte.
Er spricht über das Treffen, als habe es dabei innerhalb von zwei Tagen eine bahnbrechende Entwicklung gegeben. Er sei in den Diskussionen sehr entschieden gewesen, berichtet er. „Sie müssen verstehen, dass ich viele der Leute in dem Raum kenne“, sagt er zu den Journalisten. Schon im vergangenen Jahr habe er Druck auf die anderen gemacht, damit sie mehr in Verteidigung investierten.
Diesmal sei er noch ein bisschen strenger gewesen, habe den anderen gesagt, dass er sehr unglücklich sein werde, wenn sie ihre Zusagen nicht erhöhten. Das habe Wirkung gezeigt. „Jeder hat zugestimmt, sein Engagement erheblich zu erhöhen.“ Selbst Deutschland wolle das Zwei-Prozent-Ziel bis 2028 oder 2030 erreichen.
Stimmt das?
Nach allem, was bekannt ist, nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt nach der Krisensitzung lediglich ganz vorsichtig in Aussicht, dass sie ihr Versprechen von 1,5 Prozent des BIP bis 2024 noch einmal aufstocken könnte. In ihrer Bilanz der zwei chaotischen Tage in Brüssel spricht sie von einem „Gipfel der Selbstvergewisserung“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und andere Teilnehmer der Krisensitzung berichten, es habe keine neuen Zusagen an Trump gegeben.
Die wohl undankbarste Aufgabe fällt an diesem für die Nato traurigen Tag Generalsekretär Stoltenberg zu. Offensichtlich um zu retten, was zu retten ist, preist der Norweger in seiner Abschlusspressekonferenz überschwänglich Trumps „starke Führerschaft“ beim Thema Verteidigungsausgaben. Der Amerikaner mache die Nato noch stärker. Wie nie zuvor stiegen nun die Verteidigungsausgaben.
Es sind Äußerungen, die in der Nato-Zentrale dem ein oder anderen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Denn jeder weiß, dass Trump dem Bündnis seit Amtsantritt geschadet hat wie noch kein anderer US-Präsident. Dass Stoltenberg nur deswegen diese Töne anschlägt, weil er den Zusammenbruch der Nato fürchtet.
Und Trump? Die Frage ist, was er mit all seinem Hin und Her erreichen will. Sieht er darin eine geschickte Verhandlungstaktik? Dafür hat er nach diesem Gipfel eigentlich nichts vorzuweisen. Aber Trump bewegt sich in einer Parallelwelt aus Lügen und Halbwahrheiten, in der Fakten wenig zählen. Er wiederholt so lange immer dasselbe, bis irgendetwas davon verfängt und die Gegenargumente in den Hintergrund geraten.
Am Ende dieses Brüsseler Gipfels schwebt er über dem Chaos, das er selbst erzeugt hat.