Der Münchner Weg - „Gemeinsam stärker als die Terroristen“
München (dpa) - Das Szenario klingt grauenerregend: Terroristen des Islamischen Staats (IS), die mitten in die Silvesterfeiern hinein Bomben zünden. Sie hätten in der Menge der Partygänger am Münchner Hauptbahnhof und/oder am Pasinger Bahnhof ein Blutbad angerichtet.
Doch München zeigt sich einmal mehr stark: Die Polizei riegelt beide Bahnhöfe ab. Blaulicht auf den Straßen und martialisch bewaffnete Beamte zeugen vom Ausnahmezustand. Direkt daneben begrüßen die Münchner das neue Jahr mit einem bunten Feuerwerk, lassen Sektkorken knallen und tanzen auf Partys in den Morgen.
„Wir werden unser Leben nicht wegen solcher Bedrohungen ändern. Gemeinsam sind wir stärker als die Terroristen“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Erst im Herbst verschafften sich die Münchner über Deutschlands Grenzen hinaus Respekt. Mit immenser Hilfsbereitschaft bewältigte die Stadt den Ansturm von teils 10 000 Flüchtlingen täglich. Solidarität und Weltoffenheit - darauf sind die Münchner stolz.
Die bayerische Polizei wiederum hat sich zuletzt bei Großereignissen Achtung erworben. Sie schützt alljährlich die Münchner Sicherheitskonferenz mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs, Ministern und Wirtschaftsvertretern. Auch zum Oktoberfest mit seinen gut sechs Millionen Besuchern fährt bei der Polizei ein riesige Maschinerie an - ohne dass darum viel Aufhebens gemacht würde.
Im vergangenen Sommer sorgten Tausende Beamte für einen störungsfreien Ablauf des G7-Treffens auf Schloss Elmau. Kritiker warfen den Behörden überzogenes Vorgehen vor. Am Ende konnten diese zumindest auf den Erfolg verweisen: Sie hatten die Lage im Griff.
Die Polizei punktet auch mit lockerem Ton auf Twitter und Facebook. „Wir haben Kräfte aus dem südbayer. Raum zur Unterstützung nach #München geholt. Zusammen mit Spezialeinheiten sorgen wir für Eure Sicherheit“, twitterte sie an Silvester. Und an Neujahr: „An alle Nachtschwärmer: Danke, dass Ihr Ruhe bewahrt habt und Verständnis für unsere Maßnahmen hattet.“ Später bayerisch: „A guads Neis!“ (Ein gutes Neues!)
Ob die Terrorpläne für München real waren, wie knapp sie vor der Umsetzung standen, wo die mutmaßlichen Attentäter sind, ob es sie überhaupt gibt: Das ist auch zwei Tage nach dem Einsatz offen. Einen Fehlalarm sehen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Polizeipräsident Hubertus Andrä nicht. „Die bayerischen Behörden haben mit Unterstützung der Bundespolizei umsichtig, besonnen und entschlossen gehandelt“, lobt auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU).
Klar ist für die Verantwortlichen: Es dürfte nicht der letzte Alarm gewesen sein. In Deutschland leben nach Einschätzung des Verfassungsschutzes 1100 gewaltbereite Islamisten. 430 wird eine schwere Straftat zugetraut. „Wir müssen uns wahrscheinlich auf eine längere Auseinandersetzung mit dem IS einstellen“, sagt Herrmann. Er sei eine weit vernetzte Organisation, die inzwischen Al-Kaida in der Rolle offenbar abgelöst habe.
Als 2009 Al-Kaida-Drohvideos auf das Oktoberfest wiesen, reagierte die Stadt rasch. Die Polizei blockierte Zufahrten provisorisch mit Bussen, Streifenwagen und Lastwagen, kontrollierte Taschen und setzte zwei mutmaßliche Islamisten vorbeugend in Gewahrsam. „Herzlich willkommen auf der sicheren Wiesn!“ rief die damalige Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl den Gästen zu, die kaum weniger zahlreich kamen als sonst. Nur das Wort „Bombenstimmung“ war tabu.
1980 war das größte Volksfest der Welt Ziel eines rechtsextremen Anschlags mit 13 Toten und über 200 Verletzten gewesen. Acht Jahre zuvor hatten bei den Olympischen Sommerspielen 1972 palästinensische Terroristen israelische Sportler als Geiseln genommen. Nach einer missglückten Befreiungsaktion waren 17 Menschen tot. Beide Anschläge haben sich eingebrannt - und zu Konsequenzen geführt, unter anderem zur Gründung der Antiterroreinheit GSG 9.
Gänzlich überraschend kam der Terroralarm für die Sicherheitsbehörden nun wohl nicht, spätestens am 23. Dezember soll sie ein erster Hinweis erreicht haben. Als dann an Silvester um 19.40 Uhr die Warnung konkret wurde, waren binnen kürzester Zeit über 500 Beamte zusätzlich bereit. Es sei klar, „dass wir nicht vollkommen unvorbereitet die Silvesternacht auf uns haben zukommen lassen“, sagte Andrä. „Der Zeitvorlauf von vier Stunden ist natürlich sehr sportlich.“ Seine Botschaft angesichts der Bedrohung: „Ich empfehle den Leuten, ihr Leben so zu leben, wie sie es gewohnt sind.“