Analyse Der schwere Weg aus dem Streik-Dilemma bei der Lufthansa
Frankfurt/Main (dpa) - Die Lufthansa und ihre Piloten stecken in einem gewaltigen Dilemma. Mit äußerst kostspieligen und imageschädigenden Streiks versucht die Vereinigung Cockpit (VC), den größten Luftverkehrskonzern Europas von seiner Billig-Strategie abzubringen.
Doch Konzernchef Carsten Spohr bleibt hart und erträgt lieber die 14. Streikrunde mit Millionenschaden, als dass er einlenkt. Lieber ein paar Tage ohne Lufthansa als in Zukunft ganz ohne Lufthansa, lautet sein Tenor.
Doch wie kann es bei derart verhärteten Fronten weitergehen? Lufthansa bringt immer wieder eine Schlichtung zum offiziellen Streikanlass der Pilotengehälter ins Spiel, auch wenn die Vorstellungen mit 2,5 und 22 Prozent Gehaltsteigerung sehr weit auseinanderliegen. Es sind aber noch eine ganze Reihe anderer Tarifthemen strittig, die in der Streikserie schon eine Rolle gespielt haben. Die VC hat bislang alle Schlichtungsvorschläge abgelehnt.
„Die Kompromisslosigkeit der VC macht einen einigermaßen ratlos“, sagt Airline-Berater Heinrich Großbongardt. „Mit der Brechstange ist der Konflikt nicht zu lösen, sondern es braucht schon den guten Willen aller Beteiligten.“
Luftverkehrsexperte Gerald Wissel sieht den Moment für eine umfassende Schlichtung gekommen. Wegen der heftigen Auseinandersetzungen müsse ein Schlichter aber erst einmal gegenseitiges Vertrauen auf beiden Seiten schaffen, die sich in der Vergangenheit misstrauisch belauert haben. Dabei müsse das Unternehmen die Sorgen und Ängste des fliegenden Personals ernstnehmen, mahnt Wissel. „Als Dienstleister muss Lufthansa ihr Personal mitnehmen, sonst stimmt das Produkt nicht mehr.“
„Um Dampf aus der Sache zu nehmen, könnte es hilfreich sein, den Konflikt in handhabbare Einzelteile zu zerlegen und über Teileinigungen wieder Vertrauen zu schaffen“, sagt Großbongardt. Genau vom Gegenteil ist der Luftverkehrs-Berater Benjamin Bierwirth überzeugt. Einzelthemen zu lösen, werde nicht zum Ziel führen, sagt der Frankfurter. Vielmehr müsse Lufthansa sondieren, unter welchen Bedingungen die VC gesprächsbereit sei und eine geeignete Person als Schlichter suchen. Nach eigenen Angaben hat die Airline bereits zwei konkrete Kandidaten an der Hand.
Einig sind sich die Experten in der Analyse der eigentlichen Streikziele der VC. „Der Konflikt dreht sich nur vordergründig um Zahlen. Kern bleibt die künftige Konzernstrategie“, fasst Großbongardt die Lage zusammen. Und urteilt: „Die Ära der Flagg-Carrier wie Lufthansa geht zu Ende und mündet im harten Wettbewerb der Billigflieger, der natürlich mit Sozialabbau für die Beschäftigten verbunden ist. Das will die VC für die Piloten verhindern. Aber hier setzen Ryanair und Easyjet die Standards.“
Zu Beginn des Arbeitskampfes hat die streikmächtige VC noch vergleichsweise offen kommuniziert, dass es ihr um Einfluss auf das künftige Geschäftsmodell geht, sie also Billigstrukturen in den Eurowings-Cockpits und Ausflaggungen verhindern will. Das war in der Vergangenheit gelungen, als die Piloten der Lufthansa-Tochter Germanwings in den Konzerntarifvertrag (KTV) aufgenommen wurden.
Doch spätestens in der 13. Streikrunde im September 2015 wendete sich das Blatt, als das Landesarbeitsgericht Hessen der VC vorhielt, für nicht tariffähige Ziele zu streiken, die in die Entscheidungsgewalt des Konzerns gehören. In nachfolgenden Sondierungen weigerte sich Lufthansa standhaft, das Eurowings-Thema offiziell mit zu behandeln.
Die VC griff schließlich wieder gezielt Tarifthemen auf, für die sie legal streiken darf, nämlich Gehälter und Übergangsversorgung. Für beides liegen seit Anfang 2014 entsprechende Urabstimmungen der VC-Mitglieder vor. Die Frankfurter Arbeitsgerichte haben am Dienstag die Rechtmäßigkeit des neuerlichen Streiks klar bestätigt.
„Die VC will wissen, wo die Lufthansa in fünf Jahren steht“, meint Bierwirth. „Sitzen die KTV-Piloten dann nur noch in den Langstreckenmaschinen und alle anderen Verbindungen werden von billigeren Kräften geflogen?“ Lufthansa nutze schließlich schon Ausweichstrategien, um ihre Jets kostengünstiger betreiben zu können. Im kommenden Jahr steht im Konzern die Integration von 40 Air-Berlin-Jets an, die samt Crew geleast werden. Die Piloten werden dort nach Air-Berlin-Tarifen bezahlt.
Ein Schlichter bräuchte eine gewisse Robustheit, auf komplexe Rechenmodelle kommt es nach Einschätzung der Experten eher nicht an. Immer wieder tauchen die Namen der SPD-Politiker Matthias Platzeck und Gerhard Schröder in der Debatte auf. Der Brandenburger hat bereits den Tarifkonflikt der Lufthansa mit ihren Flugbegleitern befriedet, der einstige „Basta-Kanzler“ Schröder gilt als durchsetzungsstark. Eine anspruchsvolle Aufgabe wäre die Schlichtung zwischen Lufthansa und Piloten allemal.