Die „Chefs“ und die Steuerparadiese - ein Gipfel mit Tücken
Brüssel (dpa) - Nach langem Streit um den Sparkurs im rezessionsgebeutelten Europa haben die EU-Staats- und Regierungschefs ein Terrain der Eintracht gefunden. Steuerhinterziehern und -betrügern soll das Handwerk gelegt werden.
Einen „Riesenschritt nach vorne“ habe man im Kampf gegen Steuerbetrüger erreicht, lobt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Selbst ihr österreichischer Amtskollege Werner Faymann fügt beim EU-Gipfel hinzu: „Das ist ein wichtiger Schritt für Europa.“
„Automatischer Informationsaustausch“, so lautet die Zauberformel der Europäer. Mit dem Übersenden der Bankdaten von EU-Ausländern wollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass verbleibende Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Damit will die wirtschaftlich nicht gerade gut dastehende Union auch in internationalen Spitzenrunden wie G8 und G20 punkten.
Doch die EU wäre nicht die EU, wenn das nun ganz einfach laufen würde. Die meisten EU-Staaten tauschen jetzt schon Bankdaten aus, aber die wichtigen Finanzplätze Luxemburg und Österreich ziehen bisher nicht mit. Der Kurswechsel ist allerdings eingeleitet: „Luxemburg hat am 10. April erklärt, dass wir uns vom Bankgeheimnis verabschieden und in den automatischen Informationsaustausch eintreten“, bilanzierte Regierungschef Jean-Claude Juncker. Der Termin dafür ist der 1. Januar 2015.
Seitdem er nicht mehr Eurogruppenchef ist, tritt der Christdemokrat bei den Spitzentreffen ganz entspannt auf. Eher beiläufig spricht Juncker denn auch von der bitteren Pille, die übrig bleibt - es müssten noch die Verhandlungen mit Drittstaaten wie der Schweiz abgewartet werden. Der Auftrag des Gipfels ist klar: Bis Ende des Jahres sollen die EU-Kassenhüter das EU-Zinssteuergesetz verschärfen. Damit fällt de facto das Bankgeheimnis für Ausländer in der EU. Auch Luxemburg ist dann grundsätzlich damit einverstanden, mit dem EU-Zinssteuergesetz alle Finanzprodukte zu erfassen.
Juncker, der dienstälteste EU-Regierungschef, und der Österreicher Faymann kamen zusammen in die Gipfelrunde. Die „Chefs“ mussten dann noch auf Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande warten - die beiden nahmen sich vor Beginn eine Viertelstunde Zeit für einen raschen Meinungsaustausch. Viel war zuletzt vom abgekühlten Verhältnis zwischen Berlin und Paris die Rede. Tatsächlich blickten Merkel und Hollande ernst und angespannt, als sie sich zusammen in die große Runde begaben.
Aber aus Regierungskreisen ist zu hören, dass es nun doch noch vor dem Juni-Gipfel eine gemeinsame Initiative für weitere Reformen in der EU geben soll. Die Franzosen sollen zwei Jahre mehr Zeit zur Umsetzung ihrer Sparziele erhalten. Hollande pochte in der vergangenen Woche auf das alte französische Vorhaben einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone.
Wie genau der Deal zwischen den beiden wichtigsten EU-Mitgliedern aussehen soll, der dies ermöglicht, ist aber noch nicht zu erkennen. Am 30. Mai wird Merkel nach Paris reisen - vielleicht wird es dann mehr Klarheit geben. Der Mini-Gipfel war am Ende eben doch nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zum nächsten Spitzentreffen Ende Juni.
Mehr Genugtuung als die Verhandlungen im Brüsseler Ratsgebäude dürfte Merkel die Veranstaltung bereitet haben, die dem Gipfel folgte. In der Großen Synagoge der belgischen Hauptstadt erhielt sie den Lord-Jacobovits-Preis. Die Europäische Rabbinerkonferenz ehrte Merkel damit für ihre Unterstützung des jüdischen Lebens in Deutschland, ihre Freundschaft zu Israel und für ihre entschlossene Verurteilung des Antisemitismus in Europa.