Analyse Die Grünen setzen auf die Mitte
Berlin (dpa) - Das Ergebnis ist knapp und eindeutig zugleich. Zwar hat die Grünen-Basis Cem Özdemir mit wenigen Stimmen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Robert Habeck zum Spitzenkandidaten gewählt.
Aber die beiden Kandidaten der Realos, also der eher pragmatischen und wertkonservativen Grünen, holten zusammen über 70 Prozent. Der Partelinke Anton Hofreiter kam dagegen nur auf 26 Prozent. Das ist ein Statement des Grünen-Fußvolks: Wir wollen in die Mitte.
Kommt mit Katrin Göring-Eckardt, die als einzige weibliche Kandidatin ohne Konkurrenz angetreten war, und Özdemir nun Schwarz-Grün oder, wenn's nicht reicht, gar Schwarz-Gelb-Grün im Bund? Die Grünen streiten das ab, ihr „Wir kämpfen nur für uns“ ist schon zum Dogma geworden. Auch am Mittwoch verwenden die frisch gekürten Spitzenkandidaten den größten Teil ihrer einstündigen Pressekonferenz darauf, ihre Eigenständigkeit zu betonen.
Mit mäßigem Erfolg. Dass Göring-Eckardt den Merkel-Fan Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg gleich zu Beginn erwähnt, erregt sofort Verdacht. Tübingens Oberbürgermeister und Dauer-Provokateur Boris Palmer macht es mit seiner offen geäußerten Hoffnung, dass nun auch das Wahlprogramm realpolitisch werde, nicht besser. „Macht die Grünen nicht zu konservativ!“, mahnte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, als sähe er die rot-rot-grünen Felle schon davon schwimmen.
Fest steht jedenfalls, dass die Parteibasis dem Linkskurs der Grünen bei der letzten Bundestagswahl eine Absage erteilt hat. Veggie-Day und Steuererhöhungen, das blieb als düstere Erinnerung hängen. Mit den 8,4 Prozent von damals war niemand zufrieden. Die Schuld? Sehen viele bei Jürgen Trittin, damals mit Göring-Eckardt Spitzenkandidat.
Im November hatte Trittin noch jubeln dürfen, als sich ein Bundesparteitag für die Wiedereinführung der Vermögensteuer aussprach und auch sonst eher linke Beschlüsse fasste. Nach dem Wahlsieg von Oberrealo Kretschmann in Baden-Württemberg waren die Parteilinken in die Defensive geraten, der Parteitag tat ihnen sichtlich gut. Und nun das - vom „Linksruck“ scheint wenig übrig.
Die wichtigste Aufgabe des Spitzenduos ist deshalb: Die gesamte Partei hinter sich bringen, auch und gerade den linken Flügel, damit der vielstimmige grüne Chor im Wahlkampf halbwegs harmonisch klingt. Manchmal schrille Misstöne zwischen Kretschmann und Palmer auf der einen sowie Trittin oder Volker Beck auf der anderen Seite werden sich nicht komplett abstellen lassen.
Aber vielleicht lassen sie sich ein wenig dämpfen - das wäre nach den Steuer- und Sicherheitsstreitereien der letzten Monaten schon ein Fortschritt. „Deutlich zweistellig“ ist das Ziel für die Bundestagswahl im Herbst, dafür braucht es Einigkeit.
Dafür wird das Spitzenduo nicht ohne Anton Hofreiter auskommen. Der Fraktionschef mit dem Öko-Profil ist in der Partei beliebt, gilt als pragmatisch, aber mit seinem eigenwilligen Auftreten nicht als der beste Darsteller nach außen hin. „Ich würde ja Hofreiter wählen, aber der zieht keine Stimmen“, war vor der Urwahl oft zu hören. Vielleicht ging es der Basis wirklich nicht um Flügel, wie Özdemir und Göring-Eckardt betonen, sondern um Personen.
Für besonders viel Gesprächsstoff aber sorgt Robert Habeck, der „Neue“ aus dem Norden, der es um ein Haar geschafft hätte. Was wird aus dem Umwelt- und Energiewendeminister aus Schleswig-Holstein? Viele sehen ihn schon als nächsten Parteichef, denn Özdemir lässt immer wieder durchblicken, dass er nicht nochmal antreten will.
Habeck wollte nur als Spitzenkandidat in den Bundestag wechseln. Minister in Kiel zu bleiben wäre eine Option, wenn die Grünen nach der Wahl im Mai dort noch mitregieren. Parteichef Özdemir jedenfalls gibt sich überzeugt, dass der Schriftsteller und Politik-Quereinsteiger künftig eine große Rolle spielen wird.