Doppelt gewählt: Ermittlungen gegen „Zeit“-Chefredakteur

Berlin/Hamburg (dpa) - Hätte er besser geschwiegen? So aber hat Giovanni di Lorenzo nicht nur massenhaft Häme, Kritik und Kopfschütteln geerntet, sondern auch noch eine Strafanzeige wegen Wahlbetrugs.

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Der Chefredakteur der „Zeit“ hatte vor laufender Kamera lässig erzählt, er habe gleich zweimal einen Stimmzettel beim Europa-Votum abgegeben.

Die Ergebnisse der Europa-Wahl waren am Tag danach für viele plötzlich nur noch Nebensache. Di Lorenzo besitzt als Doppelstaatler einen italienischen und einen deutschen Pass. Deshalb erhielt er zwei Wahlbenachrichtigungen - und füllte nach eigenem Bekunden dann auch zwei Wahlzettel aus, einmal als Italiener und einmal als Deutscher. Das berichtete der 55-Jährige Journalist und Autor am Sonntagabend freimütig in der ARD-Talkrunde „Günther Jauch“.

Gefragt hatte Jauch, wo di Lorenzo gewählt habe. Antwort: in Deutschland. Und: „Ich darf zwei Mal wählen, weil ich zwei Pässe habe.“ Zur Wahlurne gegangen sei er zuerst am Samstag im italienischen Konsulat, dann am Sonntag in einer Hamburger Grundschule.

Das Eingeständnis verschlug nicht nur Gastgeber Jauch fast die Sprache, auch Mit-Talker Wolfgang Schäuble wollte und konnte die Aussage kaum fassen. Kopfschüttelnd stellte der Finanzminister fest: „Das kann ja nicht sein, dass die einen mehrfach wählen für dieses europäische Parlament und die anderen nur einmal.“ Auch im Kurznachrichtendienst Twitter meldeten Zuschauer massive Zweifel an.

Nach einer Anzeige befasst sich nun die Justiz mit dem Fall. Die Anzeige kam vom Landesverband Sachsen der Alternative für Deutschland (AfD). Wegen des Verdachts der Wahlfälschung läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg. Die prüft auch den Tatbestand des Fälschens von Wahlunterlagen.

Dass di Lorenzo als Doppelstaatler von den Behörden zwei Wahlbenachrichtigungen erhielt, ist nach Einschätzung von Bundeswahlleiter Roderich Egeler nicht zu beanstanden. Es sei kein Fehler passiert, gehe man doch in solchen Fällen davon aus, „dass der Unions-Bürger seine Rechte in der Weise in Anspruch nimmt, wie das Gesetz es auch vorschreibt - nämlich nur einmal wählen zu gehen.“ Man müsse die Regeln überarbeiten.

In Deutschland leben laut Statistik insgesamt etwa eine Million Wahlberechtigte, die neben der deutschen auch noch eine zweite EU-Staatsbürgerschaft haben, darunter etwa 460 000 Polen und 130 000 Italiener. Mit Blick auf diese Doppelstaatler heißt es in Paragraf 6, Absatz 4 des Europa-Wahlgesetzes unmissverständlich: „Das Wahlrecht darf jedoch nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden.“ Nach dem Strafgesetzbuch Paragraf 107a steht auf Wahlfälschung „Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“.

Das Kuriose am Fall di Lorenzo: In einem Artikel ausgerechnet bei „Zeit Online“ wurden vier Tage vor der Europa-Wahl genau diese Fakten akribisch aufgelistet. Unter der Überschrift „Lücke im EU-Wahlsystem“ wurde exakt das Problem erörtert, dass nicht auszuschließen ist, dass Doppelstaatler möglicherweise zwei Mal ihre Stimme abgeben.

Ein Sprecher der italienischen Botschaft wird in dem Beitrag auch noch mit dem Appell zitiert: „Jeder Wähler trägt selbst die Verantwortung: Wenn er redlich ist, wird er seine Stimme wie alle anderen nur einmal abgeben.“ Giovanni di Lorenzo selbst hat das alles offensichtlich nicht gelesen: „Mir war nicht bewusst, dass man bei der Europawahl nicht in zwei Ländern abstimmen darf“, sagte er am Montag.