Seehofer angezählt - doch die Revolte in der CSU bleibt aus
München (dpa) - Am Tag eins nach dem Europawahl-Desaster der CSU zeigt Parteichef Horst Seehofer lange nicht gesehene Eigenschaften: Demut und Selbstkritik.
„Das ist eine Wahlniederlage, für die übernehme ich auch die Verantwortung“, sagt der 64-Jährige, bevor er sich der Debatte im Parteivorstand stellt. Auch drinnen erweckt er den Eindruck echter Betroffenheit, wie Teilnehmer berichten. Und nach der Sitzung schließt er nicht nur für sich personelle Konsequenzen aus, sondern auch für seine Leute. „Ich möchte keine Stellvertreterdiskussionen. Ich bin verantwortlich.“
Das bedeutet: Verantwortlich für einen Absturz um 7,6 Prozentpunkte und das schlechteste Ergebnis bei einer landesweiten Wahl seit 60 Jahren. Doch hinschmeißen will Seehofer nicht, als Ministerpräsident nicht, als Parteichef auch nicht. „Flucht ist kein anständiger Umgang“, sagt er.
Noch vor Beginn der eigentlichen Vorstandssitzung berät sich Seehofer mit den fünf Europaabgeordneten, die der CSU in Brüssel geblieben sind - bisher waren es acht. Zwei Abgeordnete wurden nicht wiedergewählt, zudem verpasste ein Neuling den Sprung ins Parlament. Die Verbliebenen sparen dem Vernehmen nach nicht mit Kritik: Der europakritische Kurs im Wahlkampf sei mitverantwortlich für das verheerende Ergebnis.
Das ist für Seehofer überhaupt neu: Erstmals seit seinem Wechsel nach Bayern vor mehr als fünf Jahren üben Parteifreunde in einer bisher ungekannten Offenheit und Direktheit Kritik an Strategie und Taktik der Parteispitze - auch wenn es in der Vorstandssitzung nach Teilnehmerangaben keine persönlichen Schuldzuweisungen gibt. „Wenn den Menschen nicht klar ist, wofür man nun eigentlich steht, wird es schwierig, dann wird der Spagat zu groß. Vielleicht haben wir unsere Gelenke etwas überstrapaziert“, gibt die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, zu bedenken. Und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mahnt: „Es gibt keinen Anlass, Europa insgesamt so kritisch zu betrachten.“
Das Ja zu Europa zu klein, das Aber zu groß: Das ist am Montag der einhellige interne Kritikpunkt an der Wahlkampagne. Von einer sehr nachdenklichen, ernsten und durchaus selbstkritischen Diskussion im Vorstand berichten Teilnehmer - und von Appellen zur Geschlossenheit.
„Die Sitzung war kein Scherbengericht“, berichtet ein CSU-ler anschließend. Ein anderer nennt die Stimmung angesichts des Wahlergebnisses fast entspannt. Offener Zorn über Seehofer entlädt sich in den vier Stunden nicht - auch dank einer „Umarmungsstrategie“ des Parteichefs mit der Argumentation, dass alle gemeinsam irgendwie irgendwo verantwortlich seien. „Wenn es ein Sieg gewesen wäre, hätte er gewonnen. Verloren haben wir gemeinsam“, spottet einer.
Dass dem Erdbeben an den Wahlurnen nun kein parteiinternes Erdbeben folgt, hat nach verbreiteter Einschätzung in der CSU mehrere Gründe: Dass es sich „nur“ um eine Europa- und nicht um eine Landtags- oder Bundestagswahl gehandelt hat. Dass „nur“ zwei Parlamentarier ihr Mandat verloren haben. Und dass, wenn nichts dazwischenkommt, drei wahlfreie Jahre folgen und es bis zur Landtagswahl 2018 noch lange hin ist, also kein Abgeordneter akut um seine Pfründe zittern muss.
Zugute kommt Seehofer auch, dass kein Nachfolger bereit steht, der ihn sofort ablösen könnte: Weder Markus Söder noch Ilse Aigner hätten derzeit genügend Truppen, um eine Revolution anzuzetteln. „Es gibt im Moment keine Alternative zu Seehofer“, sagt ein CSU-ler. Und doch hat die verheerende Niederlage Folgen für diesen. Er ist nicht mehr automatisch immun gegen Kritik, er gilt nicht mehr als der unfehlbare Stratege. „Der Nimbus ist weg“, sagt einer aus dem Vorstand. „Er ist eindeutig angezählt.“