Drama oder Posse? - US-Etatstreit trägt bizarre Züge
Washington (dpa) - Eineinhalb Jahre hatten US-Präsident Barack Obama und der Kongress Zeit, die unter den Nägeln brennenden Haushaltsprobleme zu lösen. Doch erst Wochen vor Jahresende begannen so etwas wie ernsthafte Verhandlungen.
Selbst als die Uhr immer lauter tickte, ging das Parlament erst einmal in die Ferien. Bis zur letzten Minute beherrschte ideologisch geprägtes Parteien-Hickhack die Szenerie. Was der Senat dann präsentierte, war selbst in den Augen von Beteiligten bestenfalls eine Übergangslösung - der große Finanz-Showdown steht schon im Februar bevor.
Am Ende wollten die Abgeordneten nicht einmal über eine solche Minimallösung pünktlich abstimmen. Die Blamage war perfekt. Die größte Volkswirtschaft der Erde, die „Weltmacht Nummer eins“, ist nicht in der Lage, drängendste Probleme sach- und fristgerecht zu lösen. Kein Wunder, dass sich Millionen Amerikaner fragen: Was ist eigentlich los in Washington?
„Sind die Herausforderungen der Nation größer als ihre Führer?“, fragt die „Washington Post“ mit ätzender Kritik am Neujahrstag. Das Blatt gibt Obamas Demokraten und den oppositionellen Republikanern gleichermaßen die Schuld. Doch es ist das erste Mal, dass sich die Zeitung ernsthaft fragt, ob die politische Klasse als ganze überhaupt noch auf der Höhe der Zeit sei.
Wo immer man hinschaut in den US-Medien: Entsetzen bis Wut über das Verhalten der Politiker. „Wenn ich mir so etwas am eigenen Arbeitsplatz erlauben würde wie die Politiker in Washington, würde ich gefeuert“, meint Ali Velshi, Wirtschaftsexperte beim Sender CNN. Schon vorher hatten die Amerikaner in Umfragen ihren derzeitigen Kongress zum unfähigsten aller Zeiten gekürt.
„Verzögerung und Obstruktion“, nennt ein Kommentator das Geschacher, „philosophischer Absolutismus“ ein anderer. Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren vor allem unter Republikanern eine ideologische Verhärtung breitgemacht, die Einigungen extrem erschwert - oder ganz unmöglich macht.
„Es ist absolut unentschuldbar, dass wir alle uns zu diesem Zeitpunkt in dieser Position befinden“, sagte der demokratische Senator Joe Manchin. Erste Einsicht, Selbstkritik - oder meint er letztlich doch nur die Anderen?
Tatsächlich war die Debatte von Anfang an auf eine ideologisch aufgeladene Grundsatzfrage reduziert: Höhere Steuern für die Reichen? Beide Seiten hatten sich früh festgelegt. Obama verstand seinen Wahlsieg als eindeutiges Mandat dafür, Besserverdiener stärker zur Kasse zu bitten.
Für viele Republikaner hingegen sind höhere Staatsabgaben Gift. Auch die Schlappe bei der Präsidentenwahl hat die Konservativen entgegen vieler Erwartungen nicht kompromissbereiter gemacht. Vor allem Anhänger der populistischen Tea-Party-Bewegung hatten ihrer Parteibasis und ihren Wählern hoch und heilig versprochen, niemals und unter keinen Umständen Steuererhöhungen zuzustimmen. Derartige Versprechen mögen in den Medien und beim Wahlvolk gut ankommen - doch Problemlösung im Parlament wird dadurch praktisch unmöglich gemacht.
Mag sein, dass sich der direkte wirtschaftliche Schaden, den der vorläufige Sturz von der Fiskalklippe verursacht, fürs erste eher in Grenzen hält. Doch der politische Schaden ist enorm. Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, hatte schon vor Monaten auf den Punkt gebracht, worum es eigentlich geht: Vertrauen.
Die Welt droht das Vertrauen in die politische Führung der USA zu verlieren. Wie immer eine Einigung im Einzelnen aussehen wird, „unsere Politiker werden es geschafft haben, viele der schwierigen Entscheidungen lediglich zu vertagen“, schreibt die „Washington Post“. Sorgenvoll fügt das Blatt hinzu: „Und damit verschulden, dass Amerikas Fitness als globale Führungsmacht weltweit nur noch mehr infrage gestellt wird.“