Analyse Ein bisschen Freiheit für Puigdemont

Neumünster/Madrid/Berlin (dpa) - Boostedter Str. 30, 24534 Neumünster: Zwölf Nächte lang war die Justizvollzugsanstalt in der 80.000-Einwohner-Stadt in Schleswig-Holstein die Schlafadresse von Carles Puigdemont.

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Nun nicht mehr.

Am frühen Freitagnachmittag verlässt der katalanische Separatistenführer das Gefängnis. Zumindest vorläufig ist der 55-Jährige in Freiheit, nachdem das Oberlandesgericht in Schleswig am Vorabend eine folgenreiche Entscheidung getroffen hat. Das komplizierte juristische Verfahren ist noch lange nicht am Ende. Aber für Puigdemont ist der Zwischenschritt ein Triumph.

Schon am frühen Morgen bauen sich Kamerateams vor der JVA auf. Um 7.24 Uhr geht das Gefängnistor auf, aber es kommt nur ein Polizeiauto heraus. Danach verlassen immer wieder Mitarbeiter und Besucher das Backsteingebäude. Die Traube wartender Journalisten wächst. Um 11.14 Uhr wird die sofortige Entlassung des prominenten Insassen verfügt. Doch bis er herauskommt, dauert es.

Um kurz nach 12 Uhr verlässt der Puigdemont-Mäzen Josep Maria Matamala die JVA. Erst knapp zwei Stunden später, um kurz vor 14 Uhr, taucht schließlich Puigdemont auf. Im Anzug und in Begleitung seiner Anwälte. Strahlender Sonnenschein begrüßt den Politiker mit der markanten Frisur in Freiheit. Ein paar Anhänger jubeln und rufen „Freiheit für die politischen Gefangenen“.

Puigdemont stellt sich vor die Kameras. „Ich möchte mich bei allen bedanken für ihre Hilfe und Solidarität. Vielen Dank“, radebrecht er auf Deutsch an die Adresse seiner Unterstützer. Dann macht er auf Englisch weiter, ruft die spanische Regierung zum Dialog auf und fordert erneut die Freilassung aller in Spanien inhaftierten Separatistenpolitiker. Ein paar Minuten später ist alles vorbei. Nachfragen lässt Puigdemont nicht zu. Kurz darauf ist auf seinem Twitter-Account zu lesen, er werde nach Berlin reisen. Eine in Neumünster für den Abend angekündigte Pressekonferenz wird abgesagt.

Die überraschende Wende kam am Donnerstagabend: Das Oberlandesgericht Schleswig erließ Auslieferungshaftbefehl gegen ihn. Aber nur wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder und nicht - wie die Regierung in Spanien es wollte - wegen Rebellion. Die Richter zerpflückten die Vorwürfe der spanischen Seite und verwarfen den Hauptvorwurf der Rebellion als „von vorneherein unzulässig“. Das Pendant im deutschen Recht, der Straftatbestand Hochverrat, sei „nicht erfüllt, weil es an dem Merkmal der 'Gewalt' fehle“.

Und: Die Richter entschieden, dass Puigdemont für das weitere Verfahren nicht im Gefängnis bleiben muss, sondern unter Auflagen vorläufig frei kommt. Die Bedingungen: Er musste eine Kaution in Höhe von 75.000 Euro zahlen, darf Deutschland nicht verlassen, muss jeden Wechsel seines Aufenthaltsortes melden, ein Mal pro Woche bei der Polizei erscheinen und parat sein, wenn er von der Generalstaatsanwaltschaft und dem OLG vorgeladen wird.

Es ist zwar nur ein Zwischenschritt, aber einer mit weitreichenden Folgen. Denn wenn es am Ende zu einer Auslieferung nach Spanien auf dieser Basis käme, könnte Puigdemont in seiner Heimat nur wegen Veruntreuung vor Gericht gestellt werden, nicht aber wegen Rebellion. Das sehen die Regeln über europäische Auslieferungsanträge so vor.

Ob der Vorwurf der Veruntreuung am Ende überhaupt bestehen bleibt, ist auch noch unklar. Das ist Gegenstand der Prüfung im weiteren juristischen Verfahren. Und dies kann noch einige Wochen dauern. Da der Untreue-Vorwurf mit dem Rebellions-Vorwurf verknüpft ist, wäre es möglich, dass das Gericht am Ende auch dies als Auslieferungsgrund zurückweisen könnte - und Puigdemont ganz frei käme.

Bei den Separatisten Kataloniens - nach Umfragen knapp die Hälfte der Bewohner der Region - herrscht nun Freude, im restlichen Spanien wird dagegen auf Deutschland geschimpft. Belastet die Causa Puigdemont die deutsch-spanischen Beziehungen? Die Bundesregierung will davon nichts wissen - und gibt sich, wie schon in den vergangenen Tagen wortkarg zu dem Fall: Der Katalonien-Konflikt sei eine innerspanische Angelegenheit und der Fall Puigdemont Sache der Justiz. Punkt.

Auch die Zentralregierung in Madrid reagiert schmallippig. Für sie ist die vorläufige Entscheidung der Richter aus Schleswig eine schwere Schlappe. Mit niedergeschlagener Miene sagten Spaniens Vize-Regierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría und Justizminister Rafael Catalá am Donnerstagabend: Man kenne das deutsche Urteil nicht im Detail, müsse aber alle Justizentscheidungen stets respektieren. „Einige gefallen uns mehr, andere weniger“, sagte Catalá knapp.

Hinter vorgehaltener Hand sprechen Angehörige der konservativen Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy von einem „Desaster“. Die Entscheidung werde „die spanische Justiz in ganz Europa an den Pranger stellen und dem Separatismus Flügel verleihen“, zitiert die Zeitung „La Vanguardia“ ein ranghohes Parteimitglied.

Sollte Deutschland Puigdemont ausliefern, würde man den Führer der „Separatistas“ nur wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder auf die Anklagebank setzen und höchstens zu zwei bis acht Jahren Haft verurteilen können. Wie könnte man dann die restlichen zwölf der Rebellion bezichtigten Politiker dann mit härteren Strafen von 15 bis 30 Jahren belegen? Politisch ist das kaum denkbar.

Was tut die spanische Regierung nun also? Das Justizministerium in Madrid erwägt zudem, den Europäischen Gerichtshof EuGH in Luxemburg. Auch könnte der Haftbefehl gegen Puigdemont womöglich wieder zurückgezogen werden - mit dem Ziel, ihn in einem anderen Land festnehmen und das Auslieferungsbegehren wegen Rebellion noch einmal durchexerzieren zu lassen?

Die Regierung in Madrid hat das schon einmal gemacht, als Puigdemont in Belgien festsaß, aber die Aussichten auf eine Auslieferung wegen Rebellion nicht besonders groß waren. Die spanische Regierung kassierte ihren Haftbefehl daher kurzfristig wieder ein. Dies noch einmal zu wiederholen, würde Madrid angreifbar machen und dem Vorwurf politischer Willkür aussetzen.

Auch die gewöhnlich gut informierte Zeitung „El País“ hält solch ein Szenario für unwahrscheinlich. Beim Madrider Obersten Gericht herrsche angesichts des deutschen Urteils „Unbehagen“, man wolle Puigdemont trotzdem nach Spanien holen und zur Rechenschaft ziehen.

Es ist eine paradoxe Lage: Für den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten wäre eine Auslieferung in dieser Konstellation womöglich die bessere Variante als eine Freilassung. Denn damit wäre er den bedrohlichen Rebellionsvorwurf ein für allemal los und müsste sich in der Heimat „lediglich“ wegen Untreue verantworten.

Puigdemonts Anwalt Wolfgang Schomburg sagt, sein Mandant sei nun zwar vorerst in Freiheit. „Der juristische Kampf geht aber weiter.“ Gleiches gilt für den politischen Kampf.