„Eine Art Doppelleben“ Ein Fremdenfeind und falscher Flüchtling
Frankfurt/Main (dpa) - Als der Soldat in die Erstaufnahmeeinrichtung im bayerischen Zirndorf spaziert, legt er seine Identität ab. Aus dem Oberleutnant aus Offenbach wird plötzlich ein Obstverkäufer aus Damaskus.
Er stellt unter falschem Namen einen Antrag auf Asyl. Er ist deutsch, sieht wohl nicht sehr südländisch aus, spricht kein Wort Arabisch. Die Behörden schöpfen trotzdem keinen Verdacht. Sie nehmen seine Fingerabdrücke. Sein Asylantrag wird akzeptiert. Der vermeintliche Obstverkäufer ist fortan als Asylbewerber registriert. „Eine Art Doppelleben“, sagt die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, selbst völlig verblüfft.
Der 28-Jährige hat offenbar dunkle Pläne. Eigentlich ist er Soldat bei der Bundeswehr. Er leistet seinen Dienst im Jägerbataillon 291 einer deutsch-französischen Einheit in Illkirch. Doch er ist von Fremdenhass getrieben, vermuten die Ermittler. Der Oberleutnant soll gemeinsam mit einem 24-jährigen Komplizen einen Anschlag geplant haben, eine „schwere staatsgefährdende Straftat“ heißt das im Behördendeutsch. Wollte er als falscher Flüchtling eine furchtbare Gewalttat begehen und sie Asylbewerbern in die Schuhe schieben?
Bereits im Dezember 2015 gibt er sich in einer Aufnahmeeinrichtung in Gießen als syrischer Flüchtling aus. Anfang 2016 dann sein Auftritt als Obstverkäufer in Zirndorf. Der Mann durchläuft anschließend das Asylverfahren, erhält den sogenannten subsidiären, also eingeschränkten Schutz, bezieht neben dem Soldatensold sogar Leistungen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Wieso schöpften die Behörden keinen Verdacht? Die Ermittler machen noch keine Angaben zu seinem Aussehen. Allerdings soll sein Name nicht auf eine syrische Herkunft deuten, wie ein Ermittler der Deutschen Presse-Agentur sagt. Das BAMF will zum Ermittlungsverfahren überhaupt keine Angaben machen. Eine Sprecherin sagt nur: „Das ist kein Fall, der gestern passiert ist.“ Waren die Behörden damals, zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise, schlicht überfordert?
Der Oberleutnant fliegt auf, weil er eine scharfe Pistole, Kaliber 7,65, am Flughafen Wien im Putzschacht einer Toilette versteckt. Die Waffe hat er nicht von der Bundeswehr, auch eine Erlaubnis hat er dafür nicht. Als er die Pistole wieder aus dem Versteck holen will, schnappen ihn die österreichischen Ermittler am 3. Februar. „Den Beamten sagte er, er hat die Waffe im Januar gefunden, sie dann am Flughafen versteckt und wollte sie dann wieder abholen“, erzählt der Sprecher der Staatsanwaltschaft im niederösterreichischen Korneuburg, Friedrich Köhl. Doch die Beamten lassen ihn wieder laufen. Eine Untersuchungshaft für den Waffenfund sei unverhältnismäßig.
Einen Tag später informieren die Österreicher die deutschen Kollegen. In Dateien der Sicherheitsbehörden finden die aber nichts Einschlägiges zu dem Mann. Die Ermittler lassen ihn aber nicht mehr aus den Augen. Am Mittwoch durchsuchen 90 Polizisten aus Deutschland, Österreich und Frankreich 16 Wohnungen und Diensträume der Bundeswehr in drei Ländern. Sie stellen zahlreiche Mobiltelefone, Laptops und schriftliche Unterlagen sicher. Der Oberleutnant wird festgenommen. Im unterfränkischen Hammelburg, dort lässt er sich gerade zum Einzelkämpfer ausbilden.
Hinweise auf einen konkreten Anschlag gibt es bislang nicht. Einen fremdenfeindlichen Hintergrund soll der Soldat aber haben. Das wissen die Ermittler aus Sprachnachrichten mit einem 24-jährigen Studenten. Auch dieser wird festgenommen. Beide Männer stammen aus Offenbach und standen in Mail-Kontakt. In der Wohnung des Studenten entdecken die Ermittler Gegenstände, die unter das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz fallen.
Gibt es weitere Komplizen und Hintermänner? Steckt gar ein rechtsextremes Netzwerk dahinter? Die Bundeswehr und die Behörden halten sich bedeckt. Neben der Staatsanwaltschaft sitzen das Bundeskriminalamt und der Militärische Abschirmdienst an dem Fall.
„Das ist ein ganz, ganz besonderer Einzelfall“, meint der stellvertretende Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Dominic Kudlacek. Als Motiv hält er auch Habgier für möglich, weil der Soldat Sozialleistungen beantragt habe. Kudlacek warnt davor, die Behörden zu sehr zu kritisieren. „Das wird es immer geben, dass ein Einzelner ein Systemleck oder eine Systemüberlastung ausnutzt.“ Die Behörden seien Ende 2015 und Anfang 2016 teils heillos überfordert und überlastet gewesen. Möglicherweise habe er sich gut mit einem Kriegstrauma tarnen können.
Es sei äußerst ungewöhnlich, dass sich ideologisch radikalisierte Menschen in der Gruppe von Menschen aufhielten, die sie hassten. „Das ist kein klassischer Radikalisierungsverlauf“, sagt Kudlacek. Untypisch sei auch der berufliche Hintergrund bei der Bundeswehr. „Als Oberleutnant muss er in der Bundeswehr ja schon etwas erreicht haben.“ Der Mann sei vermutlich mindestens Zugführer gewesen und habe damit 100 Menschen oder mehr unter sich gehabt. Nun entscheidet der Haftrichter über seine Zukunft.