Ein Oligarch soll die Ostukraine am Laufen halten
Donezk (dpa) - Von seinem neuen Arbeitsplatz im elften Stock der Gebietsverwaltung von Donezk hat Sergej Taruta einen weiten Blick über die ostukrainische Stadt. Hochaufragende Firmenzentralen sind genauso zu sehen wie riesige Abraumhalden des Kohlebergbaus.
Der Unternehmer, laut Zeitschrift „Korrespondent“ Nr. 18 auf der Liste der reichsten Ukrainer, wurde Anfang März von der neuen Regierung in Kiew als Gouverneur eingesetzt. Er soll dafür sorgen, dass die russischsprachige Grenzregion mit ihren 4,3 Millionen Einwohnern loyal zur Ukraine steht. Und er soll den Motor der ukrainischen Wirtschaft, das Kohle- und Metallrevier Donbass (Donezki Bassejn), am Laufen halten.
Noch sieht Taruta (58) keine Probleme für die Wirtschaft der Region wegen der russischen Annexion der Halbinsel Krim. „Der Export läuft so weiter wie immer“, sagt er. Gleiches gelte für den Import aus dem großen Nachbarland.
Doch ganz so entspannt dürfte die Lage nicht bleiben. Einen Konflikt der Ukraine mit Russland kann sich der Donbass nicht leisten. 2013 exportierte die Region nach offiziellen Angaben Waren für 13 Milliarden US-Dollar (9,4 Mrd. Euro), ein Großteil davon Erze und Stahl. Allein das benachbarte Russland nahm knapp 20 Prozent davon ab, die in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vereinten Ex-Sowjetrepubliken insgesamt ein Drittel. Richtung Europa gingen 26,2 Prozent der Exporte, allein in die Europäische Union (EU) 25,7 Prozent.
Politisch steht Taruta angeblich der Vaterlands-Partei von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nahe, die jetzt in Kiew den Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk und Übergangspräsident Alexander Turtschinow stellt. Er ist nicht der einzige Oligarch, der auf einmal als Gouverneur amtiert. Igor Kolomoiski im Gebiet Dnepropetrowsk ist noch reicher und wird auf 1,3 Milliarden Euro geschätzt. Die Logik der Ernennungen: Sie sollen die Regionen wirklich kontrollieren. Aber es schwingt auch die Hoffnung mit, dass, wer schon reich ist, sich nicht weiter bereichern muss.
Taruta, Vorstandsvorsitzender des Metallurgie-Konzerns Industrial Union of Donbass (IUD), soll 2013 noch über 480 Millionen Euro verfügt haben. Früher war es mehr, doch IUD hat in der Finanzkrise gelitten. Seit 2010 halten russische Investoren 50 Prozent plus zwei Aktien.
Am meisten Kopfschmerzen dürfte dem neuen Gouverneur der Kohlebergbau bereiten. Derzeit haben die Gruben Absatzprobleme. „Die Lager der Unternehmen sind voll mit unverkaufter Ware“, sagt der Vorsitzende des Gebietsparlaments, Andrek Schischazki. Viele der 122 Gruben des Gebiets Donezk sind technisch veraltet, gerade die staatlichen Schachtanlagen arbeiten mit Verlust. 52 Gruben wurden schon geschlossen, und das ist für den Donbass ein soziales Problem. Es gibt viele Arbeitslose.
Er verdiene monatlich 4000 ukrainische Griwna (270 Euro), sagte der 30-jährige Bergmann Juri aus der Stadt Schachtjor bei einer prorussischen Kundgebung am Sonntag in Donezk. Damit zählt er zu den Besserverdienenden. Der Durchschnittslohn im Gebiet beträgt 3674 Griwna. Donezk liegt auf Platz zwei hinter Kiew, die anderen Regionen sind noch ärmer.
Doch Rentner müssen mit viel weniger auskommen. 1000 Griwna (66 Euro) bekommt die ehemalige Kostümschneiderin Irina Kawalaris: „Meine Hauptsorge ist zu überleben.“ Bei der pensionierten Krankenschwester Galina Lawruk sind es 1300 Griwna. Auch deshalb demonstrieren die Frauen für einen Anschluss an Russland.
Gouverneur Taruta, der am vergangenen Wochenende in Donezk auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier traf, hat große Pläne: Alles soll effektiver werden, kleine und mittlere Unternehmen sollen gefördert werden. Er sieht nicht nach Russland, sondern empfiehlt seinen Bürgern Polen als Reformvorbild. Sein Konzern IUD hat Stahlwerke in Ungarn und Polen gekauft, auch die frühere Lenin-Werft in Danzig gehört ihm. Ganz glücklich dürften die Polen und Ungarn mit Tarutas Wirken nicht sein, Entlassungen stehen an. Polen habe den Strukturwandel der Kohleindustrie gut hinbekommen, sagt Taruta. „Vom Lebensstandard in Polen können wir heute nur träumen.“