Entwarnung nach Steiner-Schock: „Ihm tut alles weh“
London (dpa) - Nach einer schlaflosen Nacht war Matthias Steiner nur noch erleichtert. Der 150-Kilo-Hüne hatte trotz Tabletten höllische Schmerzen, konnte aber schon wieder lächeln.
Nichts gebrochen, nichts gerissen, nichts gequetscht - sein dramatischer Unfall auf der Heberbühne blieb zumindest körperlich ohne größere Folgen. „Mir geht es sehr gut. Ich bin erst einmal froh, dass keine bleibenden Schäden zu befürchten sind“, sagte der 29-Jährige und will seine Karriere auf jeden Fall fortsetzen: „Es gibt keinen Grund, aufzuhören.“
Mannschaftsarzt Helmut Schreiber, leitender Orthopäde des deutschen Olympia-Teams, diagnostizierte „eine Bandverletzung an der Halswirbelsäule, eine Prellung des Brustbeins und eine Muskelzerrung im Bereich der Brustwirbelsäule“ - Glück gehabt. Deutschlands bester Gewichtheber musste auch am Mittwoch in London diverse Untersuchungen über sich ergehen lassen. Dabei wurden eine Computer-Tomographie des Brustbeins und eine Magnetresonanz-Tomographie der Brustwirbelsäule vorgenommen. Knöcherne Verletzungen und Schäden am Rückenmark konnten ausgeschlossen werden.
„Die Nacht war schmerzhaft. Die Schmerzen sind stärker als die Diagnose ist“, gab Steiner zu. Beim zweiten Versuch im Reißen war die 196-Kilo-Hantel auf Nacken und Schulter gekracht. Bundestrainer Frank Mantek dachte im ersten Schreck sogar an einen Genickbruch. „Es hat richtig weh getan und hat sich angefühlt, als ob jemand einen nassen Waschlappen auf meiner Wirbelsäule auswringt“, erzählte Steiner. Ein kurzes Gespräch nach dem Unfall mit seiner Frau Inge und Filius Felix hätten ihm die wahren Prioritäten vor Augen geführt. Sein kleiner Sohn fasste das Drama und die Konsequenzen vielleicht am besten zusammen: „Papa aua, Papa gut.“
Die verpasste Medaille, die sich der Peking-Olympiasieger trotz zahlreicher Verletzungen und einer suboptimalen Vorbereitung auf die London-Spiele insgeheim erhofft hatte, war sofort abgehakt. „Ich bin nicht enttäuscht, weil ich gesund hier sitze“, erklärte Steiner, „ich habe Frau und Kind zu Hause. Es gibt auch ein anderes Leben.“ Der gebürtige Österreicher muss den Schock erst verdauen und will dann „auf jeden Fall weitertrainieren“ - für Mantek und Verbandspräsident Claus Umbach wenigstens eine versöhnliche Nachricht nach einer unruhigen Nacht voller Sorgen.
„So was passiert in unserer Sportart leider. Das kann man nicht ausschließen. Es gab auch schon schlimmere Ausgänge“, sagte Mantek zu dem technischen Fehler seines Schützlings. Umbach vermutete sogar, manch anderer Athlet wäre gar nicht in diese gefährliche Situation gekommen: „Das ist Matthias. Er ist ein Beißer, gibt kein Kilo verloren. Er hätte die Hantel schon früher fallen lassen können ohne Folgen. Aber er wollte das Gewicht unbedingt halten.“
Umbach wollte sich nicht festlegen, wie lange sich sein Vorzeige-Athlet noch quälen wird: „Er kann mit Sicherheit weitermachen. Ob er aber noch einmal einen vierjährigen Zyklus bis Olympia 2016 mitmacht, das weiß ich nicht.“ EM und WM im nächsten Jahr bleiben für Steiner auf jeden Fall ein Thema. Auch Mantek wies Rücktrittsgedanken von sich: „Die Frage stellt sich jetzt nicht. Wir haben nie über ein Karriereende gesprochen. Wir haben immer nur über Olympia diskutiert.“
Das deutsche Gewichtheben braucht weiterhin eine Zugnummer - ohne Steiner gibt es derzeit keine Medaillen. Die deutschen Frauen Julia Rohde und Christine Ulrich haben in London zwar fünf deutsche Rekorde aufgestellt, am Ende reichte es aber nur zu den Plätzen elf und 13. Jürgen Spieß kam verletzungsbedingt auf Platz neun, Almir Velagic wurde mit neuer Bestleistung Achter. „Die Dichte in der Spitze ist deutlich höher geworden. Machst du fünf Kilo weniger, fällst du gleich fünf Plätze nach unten“, stellte Umbach bestürzt fest. Die sportliche London-Bilanz wurden nach dem Steiner-Drama zur Randnotiz.