„Er starb wie ein Tier“: Die Wut der Schwarzen in Ferguson
St. Louis (dpa) - Als Obama an die Macht kam, träumten Millionen Schwarze in den USA von einer neuen Zeit. Doch daraus wurde nichts. Ist die Frustration der Nährboden für die Unruhen in Ferguson?
Nacht für Nacht das gleiche Bild in der US-Kleinstadt Ferguson in Missouri: Schwarze Jugendliche mit nackten Oberkörpern auf der einen Seite, schwer bewaffnete Polizisten auf der anderen. Zuerst läuft alles friedlich ab, doch irgendwann im Laufe der Nacht schlägt die Lage um, gerät außer Kontrolle. Jugendliche dringen in Geschäfte ein, es kommt zu Plünderungen. Die Polizei rückt mit Panzerwagen vor, schießt mit Gummigeschossen, setzt Tränengas ein. Schüsse fallen.
Es ist über eine Woche her, dass der unbewaffnete Teenager Michael Brown durch die Schüsse eines Polizisten starb. Doch längst geht es nicht mehr nur um den Tod des 18-Jährigen. Es scheint, als sei in der abgelegenen Kleinstadt Ferguson mit seinen 21 000 Einwohnern eine Wunde aufgerissen, die nie ganz verheilt war - es ist eine Wunde, an der ganz Amerika leidet.
Immer neue Enthüllungen heizen die Emotionen an. Eine unabhängige Obduktion ergibt, dass Brown von sechs Schüssen getroffen wurde. Zwei davon trafen ihn in den Kopf, die Schüsse wurden nicht aus nächster Nähe abgegeben. Die Lesart der Polizei, wonach Brown den Polizisten angegriffen und versucht habe, ihm die Pistole zu entreißen, wird damit immer unglaubwürdiger. Noch immer ist völlig unklar, warum der 18-Jährige sterben musste.
Auch die Beschuldigungen gegen die Behörden werden immer härter, immer hässlicher. „Michael war ein menschliches Wesen“, sagt Ty Pruitt, der Cousin des Toten. Pruitt trägt einen schwarzen Anzug, von der Kanzel einer Kirche herab klagt er die Polizei an: „Er war kein Tier, aber er wurde umgebracht wie ein Tier.“
Immer weitere Kreise zieht der „Fall Michael Brown“: Die Stimmen mehren sich, wonach in Ferguson die Frustrationen, die Wut und die Enttäuschung von Millionen Afroamerikanern zum Ausbruch kommen, die lange verschüttet waren. „Black Town, White Power“ - Schwarze Stadt, weiße Macht, überschreibt Jeff Smith, der frühere Senator von St. Louis, eine Klageschrift, die das ganze Übel der „Rassenbeziehungen“ in den USA beschreibt.
Ferguson, die Vorstadt von St. Louis im Mittleren Westen der USA, hat in den vergangenen Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel erlebt, den viele als Niedergang ansehen: Noch 1990 waren 74 Prozent der Bevölkerung weiß, nur ein Viertel schwarz. Heute hat sich das Verhältnis gedreht: 67 Prozent sind schwarz, 29 Prozent weiß.
Mit der Entwicklung einher ging eine „dramatische wirtschaftliche Veränderung“, wie es der renommierte Think-Tank Brookings Institut eher zurückhaltend beschreibt. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich zeitweise, die Einkommen der Beschäftigten fielen inflationsbereinigt um ein Drittel, die Armut stieg sprunghaft an. 2012 lebten ein Viertel der Einwohner unter der Armutsgrenze. „Die wirtschaftliche Ungleichheit heizt die Unruhen in Ferguson an“ - schreibt selbst das Unternehmer-nahe Magazin „Fortune“.
Hinzu kommt: Trotz des Bevölkerungswandels blieb die politische und staatliche Führung in Ferguson weiter fest in der Hand der Weißen. Der Bürgermeister ist weiß, im Stadtrat sitzt nur ein einziger Schwarzer, lediglich 3 der 53 Polizeioffiziere sind schwarz. Auch das verschärft die Frustrationen.
Es ist Jahrzehnte her, dass in den USA schwere Rassenunruhen ausbrachen. Als Barack Obama 2009 als erster Schwarzer der US-Geschichte ins Weiße Haus einzog, kannte der Jubel der Schwarzen keine Grenzen. Utopische Hoffnungen schossen in den Himmel, viele Schwarze glaubten, eine neue Zeit breche an.
Heute ist die Hochstimmung verflogen, die Enttäuschung unter Schwarzen und Bürgerrechtlern ist in Frustration umgeschlagen. Nach wie vor sind es vor allem die Schwarzen, die auf der Schattenseite der USA leben, die unter der Krise leiden, die Gefängnisse bevölkern, die immer wieder von Polizisten misshandelt werden. „Die Not der jungen schwarzen Männer ist größer, als Sie denken“, titelt selbst die Wirtschaftszeitung „Businessweek“.
Jetzt lässt der Gouverneur von Missouri die Nationalgarde in Ferguson aufmarschieren. Das könnte die Unruhen in der Kleinstadt beruhigen, aber auch weiter anheizen - das „Rassenproblem“ lösen werden die Soldaten bestimmt nicht.