Analyse: Mehr Fragen als Antworten

London (dpa) - Julian Assange macht eine Ankündigung, und schon richten sich die Augen der halben Welt auf ein Backsteingebäude mitten in London. „Ich werde die Botschaft bald verlassen“, sagt er vor rund 25 geladenen Journalisten.

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Als diese wenig später aus der Botschaft Ecuadors herauskommen, stehen sie vor einer Wand nervöser Reporter und Polizisten. Darüber kreist ein Hubschrauber.

Lange gab es nicht so viel Trubel um den 43 Jahre alten Wikileaks-Gründer. Die brisantesten Enthüllungen der Plattform liegen schon einige Jahre zurück. Seit vier Jahren kann sich Assange nicht mehr frei bewegen - mehr als zwei davon hat er als politischer Flüchtling auf ecuadorianischem Boden in der Londoner Innenstadt zugebracht.

Verlässt er das Haus, würden die Briten ihn wohl festnehmen und nach Schweden ausliefern, wo ihm Sexualstraftaten vorgeworfen werden. Zu unrecht, wie Assange am Montag wieder einmal beteuerte. Er befürchtet, dass die Schweden ihn an die USA ausliefern würden. Seit er geheime Dokumente über den Irakkrieg öffentlich machte, gilt Assange als eine Art Staatsfeind.

Befeuert hat das Medieninteresse auch das Gerücht, Assange leide an einer schweren Krankheit. Das Boulevardblatt „Daily Mail“ hatte das unter Berufung auf eine anonyme Quelle verbreitet. Danach gefragt, weicht Assange aus: „Das hier ist ein Umfeld, in dem jede gesunde Person mit der Zeit einige Schwierigkeiten bekäme.“

Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson dementiert, dass Assange in Lebensgefahr schwebe: „Ich finde, er sah heute ziemlich gut aus“. Mit „ziemlich gut“ beschreibt Hrafnsson einen fahrig wirkenden Mann, der häufig den Faden verliert, mit rauer Stimme spricht und sich von einer Mitarbeiterin der Botschaft klaglos das Wort verbieten lässt.

Ecuador werde Assange weiter unterstützen und bemühe sich um eine diplomatische Lösung, versichert Außenminister Ricardo Patiño, der neben seinem Schützling in dem kleinen, heißen Raum sitzt. Streng sagt er: „Zwei Jahre sind einfach zu lang. Es ist Zeit, dass Julian Assange frei kommt.“ Er wolle sich deswegen bald mit seinem britischen Amtskollegen Philip Hammond treffen.

Bisher ist Schweden nicht bereit, Assange in London zu befragen. Die Briten machen ihrerseits keine Anstalten, ihn nach Ecuador ausreisen zu lassen. Assanges Rechtsberater berufen sich jetzt auf eine gerade erfolgte Gesetzesänderung, wonach London niemanden ausliefern darf, der nicht angeklagt ist. Eine Anklage in Schweden gibt es nicht, bei dem Auslieferungsgesuch geht es lediglich darum, Assange zu den Vorwürfen zu befragen.

Ob das Schwung in die verfahrene Lage bringt, ist fraglich. Assange braucht dafür die Öffentlichkeit, doch die nimmt ihn seit Edward Snowden und der NSA-Affäre nur noch am Rande wahr. Seit der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist es ruhiger geworden um Assange.

Immer wieder gab es Berichte, dass er sich mit Mitstreitern überwerfe und die Arbeit mit ihm schwierig sei. Der frühere Medien-Star schaltet sich auch heute noch zu Kongressen zu, über die außerhalb der Netz-Szene aber kaum jemand berichtet. Seine Plattform Wikileaks arbeitet weiter, wenn auch nicht so schlagzeilenträchtig wie einst. „Wir haben uns mit der Situation arrangiert“, sagt Hrafnsson.

Um jeden Preis will Assange sein Asyl nicht aufgeben. Stellen werde er sich jedenfalls nicht, stellt Hrafnsson nach der Pressekonferenz klar. Er sei lediglich bereit, die Botschaft zu verlassen, sobald die Briten ihre „Belagerung“ einstellten. Dann würde er nach Ecuador reisen. Wann er damit rechne? Hrafnsson zuckt mit den Schultern. Den wartenden Reportern in London läuft am Montag jedenfalls kein Assange vor die Kameras.