EU denkt über Vertragsänderungen nach - und ist uneins
Brüssel (dpa) - Eine neue Änderung des Vertrags von Lissabon bleibt zwischen den 27 Regierungen der Europäischen Union umstritten. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte am Sonntag in Brüssel beim EU-Gipfel erneut Änderungen, um Verstöße gegen den Stabilitätspakt besser zu ahnden.
„Wir brauchen mehr Europa. Stärkere Durchgriffsrechte und Vertragsänderungen dürfen dafür auch kein Tabu sein.“
„Wir müssen versuchen, zu verhindern, dass diese Lage noch einmal entstehen kann“, sagte auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Er hat unter anderem vorgeschlagen, den Posten eines Sparkommissars zu schaffen, der Defizitsünder zu Haushaltskorrekturen zwingen kann.
Bis Dezember dieses Jahres soll EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy der Eurogruppe einen Bericht über Vertragsänderungen vorlegen, die für engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit nötig sein könnten.
Bedenken äußerte der schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt. „Vertragsänderungen brauchen viel Zeit“, sagte er in Brüssel. „Und es besteht die Gefahr politischer Unruhen in vielen Ländern.“ Er plädierte dafür, schon vorhandene Disziplinierungsmöglichkeiten zu nutzen.
Der Präsident des Europaparlaments, Jerzy Buzek, schloss hingegen „längerfristig“ Änderungen des erst im Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrags nicht aus. Diese sollten allerdings strikt auf „Fragen der Wirtschaftsunion und der Wirtschaftsregierung beschränkt“ sein. „Ich fürchte allerdings, dass unsere Bürger zu einer neuen Runde von Volksabstimmungen und Ratifizierungen nicht bereit sein werden“, sagte er zu Beginn des Gipfels. „Wir sollten so etwas nicht so rasch vorschlagen.“
Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte unter Hinweis auf die schwierige Ratifizierung des Lissabon-Vertrages, eine erneute Vertragsänderung werde mindestens zwei bis drei Jahre dauern: „Für die kurzfristigen Probleme bringt eine Vertragsänderung nichts.“
Im Gegensatz zur deutschen Forderung, Vertragsänderungen auf mögliche Sanktionen für Defizitsünder zu beschränken, sagte Faymann, es müsse dabei auch beispielsweise um Steuerflucht und -betrug, Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und die Verankerung der Finanztransaktionssteuer gehen: „So eine umfassende Diskussion ist natürlich immer möglich, aber sie löst kurzfristig nichts.“
Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte bereits am Vortag für Vertragsänderungen plädiert. Unter anderem könne geprüft werden, ob bei dauerhaften Verstößen gegen die Stabilitätsvorschriften nicht der Europäische Gerichtshof Strafen verhängen könne. Für den Wunsch nach Vertragsänderungen habe er „durchaus auch viel Zuspruch gefunden“.
Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn warnte hingegen davor, „die Büchse der Pandora zu öffnen“: „Es kann nicht sein, dass die innenpolitischen Überlegungen und die innenpolitischen Prozeduren auch des größten Landes in der Europäischen Union alles überwiegen.“