Experte befürchtet nach Erdbeben Revierkämpfe der Helfer
Greifswald (dpa) - Not bekämpfen, Menschen helfen - das ist das Ziel der Hilfsorganisationen in Katastrophenregionen wie Nepal. Doch häufig mangelt es an Koordination. „Machtfragen und politische Interessen sind nicht zu unterschätzen“, sagt der Politikwissenschaftler Malte Schönefeld im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Er forscht an der Universität Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) unter anderem zum Thema Bevölkerungsschutz.
Frage: Herr Schönefeld, die Lage in Nepal wird immer wieder als chaotisch beschrieben, vor allem beim Transport der Hilfsgüter.
Antwort: Die Logistik ist ein Problem. Flughäfen sind ein Nadelöhr mit begrenzten Kapazitäten, gerade in armen Ländern. Teilweise wurden jetzt Teams, die bereits in der Luft waren, nach Indien umgeleitet und sind dort nun geparkt. Mittlerweile akzeptiert Nepal keine eintreffenden Such- und Rettungsteams mehr. Es ist außerdem ganz wichtig, dass die großen Such- und Rettungsteams eine gewisse Zeit autark agieren können. So schreiben es die Vereinten Nationen (UN) vor. Um der Bevölkerung nicht zusätzlich zur Last zu fallen, müssen sie einiges mitbringen: Treibstoff für Fahrzeuge, Aggregatoren und schweres Gerät etwa oder Nahrungsmittel und Wasser für mindestens sieben Tage und etwa 60 Personen. Insbesondere staatliche Teams können dies leisten, zum Beispiel das THW oder aus dem Militär heraus geführte Teams wie in Spanien oder Österreich. Es gibt jedoch auch Vereine, die dies bewerkstelligen, etwa I.S.A.R. Germany.
Frage: Was sind die größten Schwierigkeiten für Helfer?
Antwort: Die prekäre humanitäre Lage mit all dem Leid der nepalesischen Bevölkerung ist psychologisch äußerst belastend. Die Helferinnen und Helfer sind darauf vorbereitet. Trotzdem muss auf jeden Fall eine Nachsorge stattfinden. Sonst kann es zu posttraumatischen Belastungsstörungen kommen.
Frage: Wie lange kann man überhaupt damit rechnen, noch lebende Menschen unter den Trümmern zu finden?
Antwort: 72 Stunden nach einem solchen Erdbeben ist die Wahrscheinlichkeit von Lebendrettungen nahe Null, wenngleich nicht unmöglich. Die weitaus größte Zahl an lebenden Verschütteten wird von lokalen Helfern befreit. Die meisten ausländischen Rettungstrupps helfen daher auch bei der Bergung, bei der medizinischen Versorgung, der provisorischen Wasseraufbereitung und dem initialen Wiederaufbau. Allgemein tritt die Akutphase nach spätestens zwei Wochen hinter einen mittelfristigen Wiederaufbau zurück. Die schnellen Einsatz-Einheiten übergeben über die UN in hoffentlich koordinierter Weise an nachfolgende internationale und lokale Spezialisten.
Frage: Warum können sich die großen Hilfsorganisationen häufig untereinander nur so schwer koordinieren?
Antwort: Nach einem solchen Erdbeben ist die Situation vollkommen chaotisch. In der Frage der Priorisierung von Hilfsmaßnahmen spielt auch eine Rolle, wer - im übertragenen Sinne - noch am lautesten schreien kann. Das sind aber nicht die wirklich Hilfsbedürftigen. Machtfragen und politische Interessen sind nicht zu unterschätzen. Für eine erfolgreiche Hilfe ist aber Koordination notwendig. Sonst gibt es auf der einen Seite Lücken in der Hilfeleistung und auf der anderen Überlappungen.
Frage: Wer kann da noch den Überblick behalten?
Antwort: Die UN und auch die EU unterhalten einen Pool internationaler Experten zur schnellen Lagebeurteilung. Diese Experten haben wirklich das ganze Jahr über einen dicken, gepackten Rucksack zu Hause und können daher innerhalb von 24 Stunden nach Aktivierung am Zielort sein. Sie achten gemäß dem sogenannten „Cluster“-Ansatz auf Kernsektoren und geben dies in Koordinierungsmeetings teils mehrmals täglich an die Hilfsorganisationen weiter. Die Cluster sind unter anderem: Wasser/Sanitär/Hygiene, Lagerbau, Schutz der körperlichen und seelischen Integrität, Ernährung, Logistik, Gesundheit, Telekommunikation, Bildung und so weiter.
Frage: Wie viel können die Vereinten Nationen ausrichten?
Antwort: Die UN als internationale Instanz ist koordinierend tätig, da sich die vielen Hilfsorganisationen sonst ständig in die Quere kämen. Sie agieren ja quasi auf Augenhöhe und so kommt es bisweilen zu Revierkämpfen. Nicht zuletzt sind viele nichtstaatliche Organisationen auf Spenden angewiesen und brauchen dringend Erfolgsmeldungen für die Presse daheim. Manche Hilfsorganisationen arbeiten lieber außerhalb des Schirms der UN.
ZUR PERSON: Politikwissenschaftler Malte Schönefeld arbeitet im Institut für Psychologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) und forscht zum Thema Rettung, Hilfe und Kultur sowie über interkulturelle Kompetenz im Bevölkerungsschutz. Er war unter anderem auch schon im Qualitätsmanagement der International Search and Rescue Advisory Group (INSARAG) der UN-Nothilfekoordination in Genf tätig.