Forscher: Kälte trotz Erderwärmung nicht überraschend

Potsdam (dpa) - Die derzeitige Aufregung über den Winter ist nach Ansicht von Klimaforschern übertrieben. „Zwei harte Winter sagen noch gar nichts über das Klima aus“, sagt Prof. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

„Wir hätten uns vielmehr fragen müssen, sind zehn relativ milde Winter davor normal?“ Der vergangene als recht hart empfundene Winter sei zudem nicht einmal unter den 20 kältesten von 100 Jahren gewesen. Der frostige Winterbeginn in Deutschland steht für den Klimaforscher auch nicht im Widerspruch zur globalen Erwärmung.

Der Potsdamer Geowissenschaftler Prof. Reinhard Hüttl verweist darauf, dass die Auswirkungen der Erderwärmung regional sehr unterschiedlich seien. „Darum ist es nicht überraschend, dass es in Alaska wärmer wird, während wir hier einen kalten Winter erleben“, sagte der Wissenschaftliche Vorstand des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe in der Forschung eine Reihe von Arbeitshypothesen für solche Entwicklungen. Als Beispiel nannte er unterschiedliche Sonnenaktivitäten, die Einfluss nähmen. „Ich kann aus der Erdsystemforschung sagen: Wir verstehen das System noch nicht hinreichend.“

Eine Theorie für einen extrem kalten Winter in Europa - bei steigender Erwärmung - hatte kürzlich PIK-Forscher Prof. Vladimir Petoukhov vorgestellt: Im Winter 2005/2006 war die Meereis-Fläche in der östlichen Arktis vergleichsweise klein. Durch das dunkle, offene Meer wurden die unteren Luftschichten weiter aufgeheizt. Das führte zu einer gestörten Luftströmung, die in der Computersimulation kalte Winterwinde nach Europa brachte. „Diese Störungen könnten die Wahrscheinlichkeit des Auftretens extrem kalter Winter in Europa und Nordasien verdreifachen“, nimmt Petoukhov an.

Für den Klimawandel hingegen gibt es laut Gerstengarbe klare Anzeichen. In einigen Gebieten Deutschlands zum Beispiel sei die Temperatur innerhalb der vergangenen 50 Jahre schon um 1 bis 1,5 Grad im Jahresmittel gestiegen. „Außerdem gibt es in Deutschland vermehrt 5-B-Wetterlagen“, sagte Gerstengarbe. Damit bezeichnen die Experten ein Genua-Tief, das südlich der Alpen viel Feuchtigkeit aufnimmt und nach Norden zieht. Diese Wetterlagen seien verantwortlich gewesen etwa für das Elbe- und das Oder-Hochwasser. Gerstengarbe sieht für Deutschland eine steigende Hochwassergefährdung.

Insgesamt seien die Winter deutlich milder geworden. Am Klimawandel jedenfalls gebe es nichts zu rütteln. „Dieses Jahr wird eines der wärmsten, seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen“, betont der Klimaforscher. „Wir werden sicher mit mehr milden Wintern zu rechnen haben als mit kalten.“

PIK-Forscher Prof. Stephan Rahmstorf verweist darauf, dass die „kalten“ Winter ebenfalls wärmer geworden seien. „Zwar war der letzte Winter einer dieser 'kalten', mit -1,8 Grad Celsius (Durchschnittstemperatur in Potsdam). Aber in den 1980ern gab es alleine drei kältere Winter unter -2 Grad Celsius“, schreibt er in einem Wissenschaftsblog (www.wissenslogs.de) mit Verweis auf die Temperaturen in Potsdam. Der kalte vergangene Winter sei vergleichsweise moderat gewesen, die Vergleichsmaßstäbe hätten sich jedoch verschoben. So sei der Winter 2006/2007 mit +4,6 Grad Celsius der wärmste überhaupt seit 1893 gewesen. „Es gab in den letzten Jahren also keine rekordkalten Winter, wohl aber den rekordwärmsten.“