Fragen und Antworten: Eine Versöhnung auf Bewährung
St. Petersburg (dpa) - Der türkische Abschuss eines russischen Kampfjets im Grenzgebiet zu Syrien leitete vor gut acht Monaten eine schwere Krise zwischen Moskau und Ankara ein. Nun schlägt ein Präsidententreffen von Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in St. Petersburg ein neues Kapitel auf.
Erdogan spricht bei der Pressekonferenz sogar von seinem „geschätzten Freund“ Wladimir.
Was gewinnt Russland durch sein Einlenken in dem Streit?
Für den Kreml hat die Türkei energiepolitisch strategische Bedeutung. Interessant auch für EU-Mitglieder ist vor allem das Projekt Turkish Stream zum Transit von russischem Erdgas durch das Schwarze Meer via Türkei nach Südeuropa. Hier sagte Erdogan in St. Petersburg, Turkish Stream solle rasch gebaut werden. Ein milliardenschweres Vorhaben ist zudem das Atomkraftwerk Akkuyu, das Russland in der Türkei baut. Geopolitisch hofft Moskau mit einer Annäherung an Ankara, einen Keil zwischen die Türkei und den Westen treiben zu können.
Bedeutet das Treffen eine Zäsur in der EU-Orientierung der Türkei?
Im Vorfeld hieß es, Putin wolle der Türkei die von Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion schmackhaft machen. Zumindest vor laufenden Kameras war davon nichts zu hören. Erdogan signalisiert der EU mit der Reise auf jeden Fall, dass er andere mächtige Partner hat. Das dürfte ihm auch deswegen gelegen kommen, weil die Beziehungen zur EU seit dem Putschversuch noch schlechter geworden sind. Erdogan ist irritiert über die EU-Kritik an den harten Maßnahmen gegen Anhänger der Gülen-Bewegung, die die Türkei hinter dem Putschversuch sieht. Für Unmut sorgt auch die vor allem von Österreich betriebene Kampagne, Verhandlungen mit Ankara zu stoppen.
Putin oder Erdogan: Wer hat das Kräftemessen denn nun gewonnen?
Das Treffen hat gezeigt: Erdogan jedenfalls nicht. Die Schmeicheleien des türkischen Präsidenten an seinen „geschätzten Freund“ Wladimir erwiderte Putin in St. Petersburg nicht. Der Kremlchef fühlt sich als Sieger in dem Streit. „Der Kreml nimmt Erdogans Gesprächsangebot aus der Position des Stärkeren an“, sagt der Außenpolitikexperte Wladimir Frolow. Auch wenn Ankara darauf beharrt, dass Erdogan sich bei den Angehörigen des russischen Piloten, nicht aber beim Kreml entschuldigte für den Abschuss des Kampfjets: Um Verzeihung bat der Präsident doch. Für Erdogan ein seltener Schritt - und ein Indiz für den Druck, unter dem er steht.
Wie ähnlich sind sich Putin und Erdogan eigentlich?
In ihrem autokratischen Stil gleichen sich die Präsidenten. Beide haben außerdem die Begabung, Massen zu mobilisieren. Sie werden von ihren Anhängern in einem Ausmaß verehrt, das aus westlicher Sicht befremdlich wirkt. Putin und Erdogan haben sich zudem durch geschickt eingefädelte Wechsel zwischen dem Ministerpräsidenten- und dem Präsidentenamt an der Macht gehalten. Bei Erdogan kommt hinzu, dass er in seiner Politik nicht nur die nationalistische, sondern auch die religiöse Komponente betont. Zwar nutzt Putin ebenfalls die Nähe zur orthodoxen Kirche als Machtpfeiler, aber nicht so dominant.
Waren Moskau und Ankara früher wirklich enge Verbündete?
Historisch waren Russland und die Türkei keine Verbündeten. Die Annäherung erfolgte erst unter Erdogan und Putin und war besonders der Wirtschaft geschuldet. Allerdings gibt es weiter Konfliktpunkte - besonders in Syrien. „Unsere Sicht auf die Probleme in Syrien stimmen nicht immer überein“, räumte Putin in St. Petersburg ein. Erdogan dringt auf die Ablösung von Machthaber Baschar al-Assad, dessen wichtigster Unterstützer Putin ist. Und nicht zuletzt ist die Türkei Nato-Mitglied. Auch die Allianz dürfte daher Erdogans Russlandreise genau beobachten. Für Russland war die Türkei nie ein enger strategischer Partner. So ist Moskau etwa Schutzmacht von Armenien, das mit Aserbaidschan verfeindet ist - einem Verbündeten Ankaras.
Kommt es nun zu einer Wende im Syrien-Konflikt?
Davon ist auch nach dem Treffen nicht auszugehen. Weder Russland noch die Türkei lassen Anzeichen erkennen, dass sie von ihrer Haltung abweichen könnten. Zwar sagt Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin vor der Reise des Präsidenten: „In Zusammenarbeit mit Russland würden wir gerne so bald wie möglich einen politischen Übergang in Syrien ermöglichen.“ Kalin macht aber auch klar, dass das aus Sicht Ankaras nur mit der Ablösung des Regimes geschehen kann. Moskau hält zwar nicht um jeden Preis an Assad fest, will aber nur eine prorussische Regierung in Damaskus zulassen. Seine Machtposition - und auch seine Militärbasen - in Syrien will Russland um keinen Preis aufgeben.