Fragen und Antworten: Militär gegen Separatisten
Kiew (dpa) - Angespannt warteten die Menschen in der russisch geprägten Ostukraine auf den angekündigten Militäreinsatz von Regierungstruppen. Die Separatisten wollen Widerstand leisten. Fragen und Antworten zur Lage in der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik:
In der russisch geprägten Ostukraine droht ein Bürgerkrieg. Welche Seiten stehen sich gegenüber?
Nach langem Zögern hat Interimspräsident Alexander Turtschinow einen „Anti-Terror-Einsatz“ zum Schutz der Bevölkerung angeordnet. Schwer bewaffnete Einheiten sollen auf die von Separatisten kontrollierte Stadt Slawjansk vorrücken. Dort halten martialisch gekleidete und mit Sturmgewehren ausgerüstete Aktivisten strategisch wichtige Punkte besetzt. Die Behörden berichten von mindestens acht Verletzten bei Schusswechseln. Auch in anderen Großstädten im Gebiet nahe der Grenze zu Russland sind prorussische Kräfte im Einsatz. Von einer sehr angespannten Lage sprechen Experten der Vereinten Nationen.
Wie verhält sich die Bevölkerung zu den Separatisten?
Klar ist: Viele Menschen in der Ostukraine lehnen die prowestliche Regierung in Kiew eindeutig ab. Sie fürchten, dass die Führung um Ministerpräsident Arseni Jazenjuk unter dem Einfluss nationalistischer Gruppen ihre Interessen absichtlich missachtet. Auch viele Berichte Moskauer Staatssender schüren Ängste, dass Rechtsradikale aus dem Westen der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik Jagd auf die russischstämmige Mehrheit machen wollten. Unklar ist aber, wie groß tatsächlich der Rückhalt der prorussischen Aktivisten in der Bevölkerung ist. In einigen Orten sollen Separatisten mangels Unterstützung wieder abgezogen sein.
Wer steckt hinter den Unruhen?
Für die jüngste Eskalation werden Spezialeinheiten des russischen Geheimdienstes und Freischärler von der Krim verantwortlich gemacht. Experten verweisen auf die professionelle Ausrüstung und das planmäßige Vorgehen der „grünen Männchen“. Auch ein UN-Bericht weist darauf hin, dass russische Agenten hinter der Eskalation stecken könnten. Das sollen auch Gesprächsmitschnitte belegen, die der Geheimdienst in Kiew veröffentlichte. Eindeutige Beweise gibt es jedoch nicht, und Russland dementiert die Vorwürfe strikt. Ebenso unbewiesen sind Vorwürfe, dass der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, und Alexander Janukowitsch, Sohn des geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch, die Proteste lenken.
Was fordern die Separatisten?
In erster Linie geht es ihnen um ein Referendum. Allein: Die Fragestellung eines solchen Volksentscheids ist völlig offen. Mal soll es um eine weitreichende Föderalisierung der Ukraine gehen, mal um die Unabhängigkeit von Kiew. Teilweise wird auch der Anschluss an Russland gefordert. Einig sind sich die Aktivisten in der Ablehnung der Regierung in Kiew und der Präsidentenwahl am 25. Mai.
Was bietet Kiew dem Osten?
Wochenlang ließ sich kaum ein Mitglied der neuen Führung im Osten blicken. Nun kann es mit Vorschlägen nicht schnell genug gehen. Interimspräsident Alexander Turtschinow und Regierungschef Arseni Jazenjuk stellen Verfassungsänderungen in Aussicht mit einer Dezentralisierung der Machtbefugnisse. Damit erhielten die russisch geprägten Gebiete mehr Freiheiten in der Steuer- und Wirtschaftspolitik. Es fehlt jedoch an konkreten Angeboten. Turtschinow sprach auch von der Möglichkeit eines landesweiten Referendums zeitgleich mit der Präsidentenwahl am 25. Mai. Auch hier fehlt es an einer konkreten Fragestellung.
Ist die Präsidentenwahl angesichts der unruhigen Lage gefährdet?
Ja. Viele Menschen in den russisch geprägten Gebieten der Ostukraine lehnen die Wahl als illegal ab - und folgen damit der Linie Russlands und des gestürzten Präsidenten Janukowitsch. Kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen oder ruft die Regierung den Ausnahmezustand aus, könnte wohl kaum von einer freien und fairen Wahl die Rede sein. Zudem wäre die Legitimität des neuen Präsidenten sofort infrage gestellt, vor allem von russischer Seite.
Welche Interessen verfolgt Russland in dem Konflikt?
Moskau habe kein Interesse an einer Eingliederung der Süd- und Ostukraine nach dem Vorbild der Halbinsel Krim, betont Außenminister Sergej Lawrow. Mit den maskierten und bewaffneten Aktivisten habe Russland nichts zu tun, es handele sich um „friedliche Demonstranten“. Aber mit Nachdruck fordert der Kreml weitreichende Verfassungsänderungen und eine Föderation. Russisch müsse dort zweite Amtssprache sein. Zugleich hält Russland eine Drohkulisse mit angeblich Zehntausenden Soldaten an der ukrainischen Grenze aufrecht. Warnend betont Kremlsprecher Dmitri Peskow, Präsident Wladimir Putin habe bereits unzählige Briefe mit Bitten um Hilfe erhalten.