Fragen und Antworten: Raketen statt Ruhe

Kiew/Donezk (dpa) - Die erhoffte Deeskalation im Ukraine-Konflikt hat der Krisengipfel vergangene Woche im weißrussischen Minsk zunächst nicht gebracht. Zwar trat die Waffenruhe am Sonntag wie vereinbart formell in Kraft, aber beim Verkehrsknotenpunkt Debalzewo eskalierte die Gewalt trotzdem.

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Fragen und Antworten zur Entwicklung:

Warum wird um die Kleinstadt Debalzewo gekämpft?

Debalzewo liegt an der Fernverkehrsstraße zwischen den Hochburgen der Separatisten, Donezk und Lugansk. Von Russland kommende Eisenbahnlinien nach Donezk verlaufen ebenfalls durch die Stadt. Die Aufständischen brauchen Debalzewo für eine einfachere Verkehrsanbindung an Russland. Zudem würde die strategisch günstige Lage des Ortes neue Routen zu den Städten Artjomowsk und Slawjansk eröffnen, die von Regierungstruppen kontrolliert werden.

Welche Hürden belasten den Friedensprozess?

Das ukrainische Militär und die prorussischen Separatisten werfen sich gegenseitig vor, die am Sonntag ausgerufene Waffenruhe nicht einzuhalten. Damit verzögert sich der im Friedensplan vorgesehene Abzug schwerer Waffen und die Einrichtung einer Pufferzone. Solange weiter gekämpft wird, sind die Aufständischen und die Armee nicht zu diesem wichtigen Schritt für eine Deeskalation bereit, und der Friedensplan steht weiter auf der Kippe.

Was will Kiew, was wollen die Separatisten erreichen?

Die prowestliche Führung in Kiew möchte wieder die Kontrolle über die Separatistengebiete und vor allem über die Grenze zu Russland erlangen. Die prorussischen Aufständischen hingegen streben weiter die Unabhängigkeit ihrer Gebiete an und wollen zusätzliche Orte wie etwa die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer erobern.

Schon kurz nach der Einigung auf den Friedensplan in der weißrussischen Hauptstadt Minsk begannen beide Seiten, Teile des Abkommens zu relativieren. So erklärte die Regierung in Kiew, sie wolle eine vereinbarte Amnestie für Konfliktbeteiligte nicht auf die Anführer der Separatisten anwenden. Auch wie eine geplante größere Autonomie für Gebiete des Donbass aussehen soll, ist völlig offen. Separatistenführer Alexander Sachartschenko machte dagegen deutlich, dass das Minsker Abkommen für ihn „vage Phrasen“ sind. Die vereinbarte Waffenruhe gelte nicht für Debalzewo, da der Ort nicht namentlich erwähnt sei, meinte er.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Seit dem Ukraine-Gipfel vergangene Woche stehen Kanzlerin Angela Merkel, Kremlchef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in engem Kontakt. In zahlreichen Telefonaten - auch im sogenannten Normandie-Format mit dem französischen Staatschef François Hollande - versuchen sie, den Friedensplan zu retten. Die Bewertungen der Lage gehen dabei auseinander. Merkel bezeichnete die Situation in der Ostukraine zuletzt als „fragil“. Im Kreml in Moskau war trotz der schweren Gefechte von positiven Entwicklungen die Rede. Die EU verhängte neue Einreiseverbote und Kontosperren gegen ostukrainische Separatisten und russische Politiker - als Reaktion auf Kämpfe vor dem Minsker Abkommen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Entwicklungen bei Debalzewo könnten den gesamten Friedensprozess zum Scheitern bringen. Vieles hängt davon ab, wie die Führung in Kiew reagiert. Wenn sie die strategisch wichtige Stadt komplett aufgibt, könnte das dem prowestlichen Präsidenten Petro Poroschenko von Hardlinern in Kiew als Verrat ausgelegt werden und zu innenpolitischen Spannungen führen. Zeigt Poroschenko Härte und führt wie angedroht das Kriegsrecht ein, würde der Konflikt voraussichtlich weiter eskalieren - mit unabsehbaren Folgen.

Auch könnten die USA dann wieder Waffenlieferungen an die Ukraine in Erwägung ziehen - ein Schritt, den die Bundesregierung ablehnt. Russland sähe darin wohl eine Bedrohung. Beobachter warnen, Moskau könnte im Gegenzug offiziell die Separatisten ausrüsten oder gar selbst in den Konflikt eingreifen.